27. Juli
Bevor wir losdüsen, wechselt Barbara noch schnell die Batterie an unserer Heckaußenuhr. Einige Leute hatten uns schon auf die falsche Uhrzeit aufmerksam gemacht oder einfach nur den Kopf geschüttelt. Schon nach einem knappen Kilometer nach der steilen Ausfahrt vom Campingplatz auf die Landstraße wird unsere Geduld wieder mal auf die Probe gestellt. Die schmale, nasse Waldstraße führt überaus steil hinauf und wird immer enger. Über ein Dörflein, dessen Name ich leider vergessen habe, wo die Steigung mindestens 10 % beträgt und die Dorfbewohner sicher alle Beinvenenleiden haben oder noch viel Schlimmeres geht es wieder steil bergab über einen besseren Feldweg, der zwar hier und da geteert ist, aber tiefe Löcher und Gräben aufweist. Wir kommen nur sehr langsam voran. Die Landschaft oben auf den Bergkuppen ist wunderschön. Die Rinderherden verdunkeln manchmal fast den Horizont, so viel Vieh steht auf den Hochweiden. Es sind ganz andere Rassen als die, die wir kennen. Die Kühe haben ein kleines Euter und werden sicher nicht zum Milchgeben gezüchtet.
Sie sind entweder gelbweiß oder hellgelb mit grauen Tupfen. Das Besondere aber sind die Proportionen. Klein und gedrungen sind sie und haben ein mächtig vorstehendes Hinterteil und breite Schultern. Sie sehen „bullig“ aus. Fleischkolosse. „Bulliger“ aber präsentieren sich die einzeln auf der Weide grasenden Zuchtbullen. Mein Gott, sind die pyknisch! Kaum Hals, kaum Beine, aber so breit in den Schultern, dass sie in unseren Bauwagen nicht hineinpassen würden. Von den 700 kg Lebendgewicht einmal abgesehen. Ich bleibe hier und da stehen und fotografiere diese besondere Rasse mit Zoom. Belgische „Hochland-Steakrinder“ habe ich sie benannt. Es geht dann tief ins Tal runter im Kriechgang zum Ort „Andenne“, wo ich erst mal eine Viertelstunde in einer Senke anhalte, um die Bremsen abkühlen zu lassen. Die Ardennen haben’s wirklich in sich. Ein ungeübterer Fahrer hätte mit einem Trecker mitunter die größten Schwierigkeiten, zu Tal zu fahren mit 3 Tonnen Gewicht dahinter. Doch nach über 8000 Fahrkilometern kann mich so leicht nichts mehr erschüttern und ich bleibe ruhig. Barbara dagegen schreit immer mal wieder gequält auf, wenn uns rechts die überstehenden Schieferfelsen zu nahe kommen wollen oder wenn der Blick nach links in die Schlucht hinab gleitet. Soll sie doch schreien. Es ist immerhin besser als wenn sie zu singen anfängt. Weiter kraxeln wir über „Ohey“ und „Floree“ steilste Straßen hinunter zur Stadt „Dinant.“
Die Maas, auf Französisch „Meuse“ läuft mitten durch diese Touristenhochburg und wir fahren mindestens 3 km am Kai entlang auf zugeparkten Straßen mit wenig Spielraum zum schnellen Durchfahren. Überall Passagierschiffe und unheimlich viele Menschen an allen Anlegestellen und auf den Gehsteigen. In der „Drosselgass“ in Rüdesheim ist auch nicht weniger Leben. Und es nieselt. Der Traktor ist vom Vortag, den wir teilweise im Regen erlebt haben, furchtbar schmutzig geworden, An den Kotflügeln und sogar an der Heckscheibe kleben Reste von bäuerlichen Ausflügen ins Feld. Einige Wege, die wir gefahren sind, hatten eine dicke Schlammschicht auf der Fahrbahn, so dass ich einmal bergab, obwohl ich nur 12 km/k gefahren bin ins Rutschen kam und mir die Lenkung nur noch partiell gehorchte. Das sind immer wahre Highlights oder auch „Sternminuten“ für Barbara, die dann entweder ununterbrochen laut flucht oder in kurzen Abständen vernehmlich aufstöhnt.
Wenn wir so circa 100 km am Tag durch Belgien fahren, springt uns mindestens alle 10 km ein Verkehrswarnschild ins Auge, worauf steht:“ RAPPEL.“ Soll nicht bedeuten, dass die Straße musikalisch wird oder man bald einen Rappel bekommt, sondern die Verkehrsbehörde gibt in bestem „Belgisch“ damit bekannt, dass die Weiterfahrt durch einige Hindernisse erlebnisreicher werden kann. In „Anseremme“ überqueren wir den Fluss „Lesse“, der hier in die Maas fließt. Wir sind schon nach vier Stunden Stolperfahrt so fertig mit unseren Nerven, dass wir beschließen, heute nicht noch nach Frankreich einzureisen zu unserem ausgesuchten Platz. Es geht auf 15 Uhr zu und siehe da, direkt an der Maas, etwa 150 Meter vom Flusslauf entfernt, im Städtchen „Hastiere“ erblicken wir rechts neben der Umgehungsstraße vier oder fünf Wohnwagen. Da muss ein kleiner Campingplatz sein. Nichts wie hin, rechts zum Berghang einbiegen und am kleinen Bahnhofsgebäude vorbei über drei belgische „Volldrembel“ zum besagten Platz.
Wie wir auf einen Blick erkennen, ist dieser große, asphaltierte Platz gar kein Stellplatz oder Campingplatz, sondern es sind die Wohnwagen einiger Schausteller, die nebenan auf einem weiteren Areal ihre Kirmeswagen platziert haben. Wir gehen auf einen städtischen Arbeiter zu, der mit einem Bagger irgendetwas transportieren will. Der junge Mann springt ab und wir trauen uns wirklich, ihn zu fragen, ob wir trotzdem eine Nacht hier auf diesem städtischen Gelände verbringen dürfen. So ganz allein möchte er unser Anliegen aber nicht entscheiden. Wir haben ihm eine Visitenkarte in die Hand gedrückt, wo unser Gespann abgebildet ist. Das hilft und hat wohl Eindruck gemacht. Er telefoniert mit seinem Handy mit dem Bürgermeister und nach zwei Minuten bekommen wir grünes Licht. Danke, Herr unbekannter Bürgermeister! Direkt neben dem Spielplatz auf dem langen Parkstreifen sollen wir uns hinstellen. Wir danken und ich hole den Trecker heran, der 400 Meter weiter geparkt ist. Die Schausteller machen große Augen. Konkurrenz ? Nein, wir sind es doch nur. Die ausgeflippten Deutschen aus Hofgeismar, die auf Europatour sind.
Wir lassen die 6 Stützen herunter und öffnen die Fensterläden. Die belgische Schaustellergroßfamilie, die sehr moderne, breite und komfortable Caravans haben, beäugen uns zuerst etwas kritisch, werden dann aber schnell zutraulicher, als sie merken, dass wir nur harmlose Wanderer in das Leben sind. Niemand spricht Deutsch, doch die Verständigung klappt trotzdem irgendwie. Auch unser 40Meter-Kabel dürfen wir an die Steckdose der Schausteller anzapfen. Nicht mal die fünf Euro, die wir ihnen in die Hand drücken wollen, nehmen sie an. Sie haben einfach Spaß daran, uns etwas näher kennenzulernen und sie bekommen Prospekte von uns und natürlich eine Visitenkarte. Sie wollen alle unseren weiteren Weg nach Süden weiter verfolgen und staunen über unsere bisherige gefahrene Wegstrecke. „Hastiere!“ Nie gehört davon und nun sind wir hier gelandet. 300 Meter weiter an die Felsen angelehnt oder auch hineingebaut gibt es einige Geschäfte. Auch eine Touristeninformation, wo ich einen Aufkleber bekomme. Eine nette, junge Frau, Elke van den Brouck, die Außenhandelsvertreterin für Sanitäreinrichtungen in barrierefreien Wohnungen ist und auch in Deutschland Kunden hat, erklärt uns ein wenig die Gegend hier. Sie spricht ein passables Deutsch und wir erfahren so einiges über Land und Leute. In einem „Spar-Markt“ kaufen wir für den Abend ein. Zurück zum Bauwagen. Musik erschallt überlautstark aus den Lautsprechern nebenan vom Kirmesplatz zu uns herüber. Vorhin, beim Durchgehen habe ich drei „Dixie-Klos“ am Rand des Festplatzes entdeckt, direkt hinter dem kleinen Bierzelt. Das kommt uns gerade recht, denn wir haben ja nur die kleine Chemietoilette, die wir auch nur im Notfall aufsuchen. Gegen 20 Uhr schlendern wir in unseren Hausschlappen zum kleinen Festplatz hinüber. Wir haben den Duft von Bratwurst gerochen und der Magen will einmal am Tag mit etwas Warmem gefüllt sein.
Wir werden am Bratwurststand abgewiesen. „Chips, Chips!“ ruft uns der Bräter zu. Wir besorgen uns jenes Mittel zum Zweck der Speisenaufnahme und werden damit direkt zum Bierpils geschickt. „Non ,non!“ meint der Ausschenker. Hier gibt es nur Bier und Cola. Und das auch nur mit Chips. Jedenfalls verstehen wir ihn so. Also zurück zum Chipverkäufer. Der wiederum gibt zu verstehen, wir könnten Bier und Cola nur cash bezahlen am Bierpils. Nanu? Spinnen wir oder die Belgier. Wir zahlen unser Bier dann tatsächlich bar und lösen die Chips gegen eine hervorragend schmeckende Bratwurst, eingepackt in ein Stück Baguette mit einer sehr scharfen Soße am Bratwurststand ein. So befriedigt, treten wir den langen Zweiminutenheimweg Arm in Arm an und hören noch bis nach Mitternacht die laute Kirmesmusik und die Gespräche von Festbesuchern, die sich unter unserem Schlafzimmerfenster lautstark über irgendetwas unterhalten. Wir bekommen wenig mit vom Inhalt der Diskussionen, können aber oft das Wort „Traktor“ heraushören. Nach Ein Uhr morgens ebben die Gespräche ab und wir atmen auf. Eine weitere Regennacht beginnt und ich frage mich, warum ich vor fünf Stunden den Traktor und den Bauwagen mit einem Handfeger und einem Putztuch vom Matsch der Straße befreit habe.