20. Juli
Wir haben uns mit der Morgentoilette Zeit gelassen und auch das Frühstück fällt länger aus als sonst. Meine Uretherschiene, die ich seit ein paar Tagen im Körperinneren trage, macht sich mehrmals am Tag, besonders morgens und beim Laufen auf unebenem Gelände mehr als deutlich bemerkbar. Das wird sich erst wieder dann ändern, wenn ich mir die Schiene Anfang Oktober in einer süddeutschen Klinik wieder entfernen und zeitgleich den Nierenstein zertrümmern lasse. So werde ich in der nächsten Zeit gezwungen, langsame Bewegungen durchzuführen und mein Tagespensum zu verringern. Passt mir zwar gar nicht, aber ich spüre selber, dass ich vorübergehend kürzer treten muss. Im wahrsten Sinn des Wortes.
Um Neun sind wir schon eine ganze Stunde auf der Walz und tuckern fast wortlos über die Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen. Niemand hält uns auf oder fordert unsere Reisepässe. Die Westfalen scheinen Vertrauen in einreisende Hessen zu haben. Die Landschaft wird hügeliger als am Vortag, nur richtige Berge sind weit und breit nicht zu sichten. Das wird sich sicher wieder im Kraftstoffverbrauch niederschlagen. 16 Liter auf 100 km sind auch genug, denke ich. Es ist Mittwoch und der Straßenverkehr hält sich in Grenzen. In Bad Rehburg wird es noch ruhiger. Lediglich ein paar Rentner mit Gehwagen oder Spazierstöcken schauen uns nach und winken mit halber Kraft. Weitere Orte, denen wir begegnen tragen die schönen Ortsnamen „Wasserstraße,“ „Seelenfeld“ oder „Tonnenheide.“ Über die Weser, die hier oben komischerweise viel schmaler ist als z.B. bei Bad Karlshafen in Nordhessen gelangen wir auch trockenen Fußes und der Schleusenkanal kostet uns auch nur eine Minute Überquerung über eine schmucklose Betonbrücke. Aus unserem ADAC-Stellplatzführer haben wir uns einen kleinen Stellplatz bei einem Restaurant in „Rahden-Stelle“ ausgesucht, dicht bei den Städten Minden, Lübbecke und der jungen Stadt Espelkamp. Schon gegen 13 Uhr sind wir an Ort und Stelle im Dorf Stelle. Barbara hatte uns zwei Stunden zuvor telefonisch angemeldet. Sie geht ums Haus, um uns beim Besitzer anzumelden und kommt wenig später mit schlechten Nachrichten zum Gespann zurück. Heute, am Mittwoch ist Ruhetag in diesem Haus und wir könnten die Toiletten nicht benutzen, ließ die Gastwirtin vermelden. Wir sind gerade dabei uns neu zu sortieren, als der Chef des Gasthauses, Herr Hartmann mit guten Nachrichten auftaucht. Er will für uns den Seiteneingang aufschließen, damit wir, zumindest bis zum Abend und Morgen früh ab 8 Uhr die Toilette benutzen können. Wir sind sehr erfreut über diesen Wandel und parken hinter dem Gasthaus auf einer breiten, ebenen Wiese ein. Auch Wasser uns Strom bekommen wir. Lediglich fünf Euro zahlen wir für die kommende Übernachtung. Wir machen Quartier am „Gasthaus Ulmenhof.“ Ruhig ist es hier und der Besitzer ist ein sehr zuvorkommender Mann, mit dem wir uns gerne unterhalten.
Barbaras Tante Ingrid und ihr Onkel Dieter, die nur 3 km weiter in Rahden wohnen, sowie ihr zweiter, jüngerer Bruder Werner, der „um die Ecke“ in Espelkamp Zuhause ist, wissen, dass wir in ihrer Nähe sind. So haben wir uns für den frühen Nachmittag schon gestern mit allen verabredet. Auch ihr zweiter Bruder Wolfgang, der uns schon vor 14 Tagen am Werbelinsee bei Berlin besucht hat, will zu uns stoßen. Wolfgang und Werner holen uns ab und wir fahren die paar Meter nach Rahden zum Verwandtenbesuch. Es ist schon ein komisches Gefühl, wieder einmal in einem richtigen Auto zu sitzen. Alles geht fast automatisch und Wolfgang braucht in seiner Nobelkarosse nicht mal doppelt zu kuppeln und beim Schalten Zwischengas zu geben. Auch eine funktionierende Federung scheint sein Auto zu haben. Jedenfalls spürt man kaum die Bodenwellen, wenn er darüber elegant hinwegrauscht. Kaffee und Kuchen werden von Barbaras Tante in Unmengen aufgetischt und auch zum Abendbrot müssen wir nicht darben. Es gibt unter anderem Jägermett zum Abend. Was die Westfalen doch alles für Sonderrechte haben. Sogar gestandene Jäger werden verwurstet. Wir haben natürlich viel von unserer bisherigen Reise zu berichten und sind ständig im Gespräch. Spät am Abend besuchen uns alle in unserem „Rolling home“ und wir bedauern es sehr, dass die „Besuchszeit“ schon zu Ende ist. Das Netz ist hier ein sehr gutes und ich kann nach langer Zeit wieder einmal einige Fotos in unserem Blog hochladen, was mich sehr glücklich macht.