Deutschland – 08. September

Um Sechs beginnt die Frühschicht. Vitalwerte messen, Frühstück bringen, nach dem Rechten schauen. Stationsalltag.

Doch nicht für mich. Ich bin nur Gast auf dieser Vorzeigestation und fühle mich beachtet und gut aufgehoben. Ich werde zur computertomographischen Untersuchung in den „Keller“ begleitet. Wenn ich diese Abteilung hätte alleine finden müssen, hätte ich mir zur Sicherheit vorher einen Blindenführhund geborgt. Meine räumliche Orientierung lässt viel zu wünschen übrig. Und das nicht erst seit gestern, sondern schon mein ganzes Leben. Ich schrieb mal vor Jahren folgenden Kurztext auf meine Autorenseite im Internet und bekam daraufhin viele mitfühlende und verstehende Kommentare.

Dieter Christian Ochs

AUTOFAHRER 

Ich fuhr mit dem Zug
Von Kassel nach Berlin …
Aus dem Zugfenster gelehnt
Sah ich
Mächtige Autobahnstaus
Ausgedörrte Felder
Schreiende Kinder
Schimpfende Mütter
Ein ausrangiertes Fahrrad
Neben den Gleisen
Zwei betrunkene Penner
Die torkelnd fast in die Arme
Eines Aktenkofferträgers fielen
Dunkle Wolken kilometerweit
Erschreckte Gäule
Auf abgegrasten Weiden
Ein unvorstellbares Chaos
Auf allen Bahnsteigen … 

Als ich mich wieder hinsetzte
Sah ich gerade noch ein rostiges Bahnhofsschild :

MANNHEIM !

Mächtig ausgedörrt
Schrie und schimpfte ich in mich hinein
Wie ein ausrangierter, betrunkener Penner
Erfasste ich meine dunklen Wolken
Und erschrak unvorstellbar
Als der Schaffner
Meine brennende Zigarette sah. 

Da flüchtete ich aus dem Zug … 

Sogar das Zugabteil war das Falsche !

 

Das Klinikum ist gigantisch groß. Wie ein eigener Stadtteil stehen die hohen Bauten inmitten wunderschön angelegter Park- und Teichanlagen, die das Gelände ansprechend auflockern. Das Mittagessen schmeckt auch am zweiten Tag recht gut und den Köchen gehört mein Dank. Im 4-Sterne- Hotel schmeckt es nicht besser.

Blick von meinem Fenster im 2. Stockwerk nach Norden
Blick von meinem Fenster im 2. Stockwerk nach Norden
Blick nach Nordost auf die chirurgische Abteilung
Blick nach Nordost auf die chirurgische Abteilung

Für Leib und Seele wird also hier gut gesorgt. „Ä gastlichs Häusle äbe!“ Eine Anästhesistin sucht mich auf und stellt mir viele Fragen zur Vorgeschichte meines Leidens und zu anderen Vorerkrankungen. Auch der urologische Chirurg, der mich am Montagmittag um etwa 10 Gramm überflüssigem Steingut befreien will, hat ein längeres Gespräch mit mir. Es ist ein sehr sympathischer, polnischer, junger Facharzt, der Herr Dr. med. Arkadiusz Miernik, der im Jahr an die 300 Steinsanierungen erfolgreich vornimmt. Ich kann ihm einiges von unserer Reise durch Polen im Juli dieses Jahres erzählen und er ist sehr interessiert an unserem Blog im Internet, den er sich bei Gelegenheit anschauen möchte.

Besonders die polnischen Seiten. Ich habe Vertrauen zu dieser „trümmererfahrenen“ Koryphäe des „Urogenitalhandwerkes“ und weiß nun, wer und was auf mich zukommt. Auch eine der „Grünen Damen“ kommt auf einen Sprung zu mir herein, doch nur der Kittel hat eine grüne Farbe. Der Besuch bleibt ohne jegliche politische Färbung und bewegt sich auch nicht auf dem Sektor der Agrarwirtschaft. Da kommt mir in den Sinn, dass ja die sogenannte „Grüne Minna“ auch nicht grün ist und der „Grüne Daumen“ oft einen schwarzen Trauerflor trägt. Die „Grüne Dame“ und ich sind uns trotz aller Farbunterschiede, die sich besonders oberhalb der Stirn unterscheiden „grün“ und wir führen ein sehr nettes Gespräch. Ich habe großen Respekt vor diesen Damen, die ihre Freizeit „lebenswert“ verbringen. Gut für viele Kranke, Leidende, Hoffende, Verzweifelte, Genesende, Sterbende und Einsame, dass es diese uneigennützig tätigen Frauen gibt, die sich sozial so stark in diesem Bereich in der Freiburger Uni-Klinik engagieren. Deren „Wert“ kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Wie ich höre, gibt es die soziale Organisation der „Grünen Damen“ in Freiburg dieses Jahr schon seit 25 Jahren und es soll im Oktober eine Jubiläumszeitung herausgebracht werden. Doch wo bleiben die „Grünen Herren??“ Am Nachmittag kommt Barbara herein geschneit.

Der Stationsbalkon...eine Oase der Ruhe
Der Stationsbalkon...eine Oase der Ruhe
Antikes Fallrohr an der Fassade des Urologieblocks
Antikes Fallrohr an der Fassade des Urologieblocks

Wir gehen ein wenig im Park spazieren und füttern die Enten, Tauben und Spatzen mit alten Brotresten. Ich komme mir vor wie ein Rentner. Übrigens: Was für ein Wort kommt heraus, wenn man das Wort „Rentner“ von hinten liest? Na ? Pensionär ist es leider nicht. Falsch geraten. Ich bekomme Zeit, mich nach dem Besuch an den Laptop zu setzen und kann Fotos und weitere Berichte hoch laden. Ich erhalte pro Tag zwei Kurzinfusionen, die die Entzündung wegbringen sollen. Bisher geht es mir noch nicht viel besser, aber da mir andere immer sagen, ich wäre ein ungeduldiger Mensch, übe ich mich bewusst in Geduld.

Ich bin immer noch allein in meinem Vierbettzimmer. Hoffentlich legen sie mir keine stillende Mutter oder einen abgebrannten Clochard in eines der freien Betten. Aber das werden die Pfleger und Schwestern schon nicht tun. So viel Vertrauen muss sein. (!) Der Abend verläuft ereignislos. Ich schaue mir im Fernsehen die Show „Das fantastische Quiz des Menschen“ mit Dr. Eckart von Hirschhausen an und lerne u. a. dabei, dass man das Gift Botox nicht zur Unkrautvernichtung aufs Land aufbringen darf und auch nicht zur Beseitigung ungeliebter Schwiegermütter. Eine sehr kurzweilige Sendung, die mir Vergnügen bereitet. In der Nacht muss ich leider die Nachtschwester belästigen. Ich bin total durchgeschwitzt und die gesamte Bettwäsche muss gewechselt werden. Ich will bei der morgendlichen Visite den Ärzten darüber berichten.

 

1 Kommentar zu „Deutschland – 08. September“

  1. Lieber Dieter,

    falls es dich beruhigt: Selbst ICH als Freiburg-Kennerin würde mich in den unterirdischen Gängen der Uniklinik verlaufen. Die sind so mächtig und so grandios
    verzweigt, dass sich mit Sicherheit auch das Personal mal selbst verläuft ;-)

    Bleib weiterhin tapfer. Nächste Woche sieht die Welt wieder besser aus!

    Herzensgruß an euch beide,
    Petra

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