Es ist Dienstag geworden. Kaum habe ich lustlos gefrühstückt, da werde ich zu dem diensthabenden Anästhesisten im Erdgeschoss gerufen. Ich sitze zwanzig Minuten in einem Behandlungsraum alleine. Da kommt der Stationsarzt meiner Station herein und bespricht mit mir noch einmal genau, was vorliegt und was evtl. unternommen werden könnte, um meinen derzeitigen „Unzustand“ wieder in einen alltäglichen, normalen Zustand zu versetzen. Ich fülle mit ihm ein Aufklärungsformular aus und er verlässt den Raum wieder.
Nach weiteren langen zwanzig Minuten erscheint dann der Narkosearzt, der bislang noch im OP nebenan zu tun hatte. Wir führen ein ausführliches Gespräch. Er meint aus seiner fachärztlichen Sicht, dass ich in keinem Fall eine Vollnarkose bekommen darf und auch die unteren Gliedmaßen nicht über einen längeren Zeitraum angehoben werden dürften, da sonst die Gefahr bestünde, dass sich ein weiterer Thrombus lösen und wieder in die Lunge wandern könnte. Er bietet mir aber eine passable Alternative an. Mittwochmorgen soll der Stein nach altherkömmlicher Art durch Schallwellen von außen unter einer schwachen Kurznarkose und Analgetikatropf getrümmert werden. Das soll gegebenenfalls am Freitag noch einmal wiederholt werden, damit alle Fragmente des Plagegeistes problemlos abgehen können. Die Erfolgsquote ist dann zwar viel geringer als bei einem Eingriff „von unten“, aber erheblich schonender und risikoärmer. Ich bin sehr damit einverstanden, unterschreibe das Aufklärungsprotokoll und bedanke mich für das umfangreiche Gespräch. Kaum bin ich wieder oben in meinem Zimmer angekommen, muss ich schon zur nächsten Abteilung in ein anderes Gebäude. Ich werde per Rollstuhl hingefahren und sitze dann eine gute halbe Stunde in dem wunderschön künstlerisch gestalteten Lichthof des Wartezimmers vor der Röntgenabteilung. Dann wird die Lage des Nierensteins röntgenologisch sichtbar gemacht und ich kann wieder gehen. Ich vermeide, am „Moppraum“ vorbeizugehen und verlaufe mich prompt in den vielen ellenlangen Gängen des Klinikums.
Ein Klinikfotograf im weißen, langen Kittel, der mit mir im Aufzug nach irgendwohin fährt, klärt mich über die weitere Wegstrecke auf. Ich fahre wieder herunter und steige nach gefühlten 500 Metern in einen anderen Aufzug ein. Ich habe die Hoffnung, weder auf der Entbindungsstation noch in der Pathologie zu landen. Es klappt und ich komme kurzatmig wieder in meinem Zimmer an, wo sogleich der urologische Chirurg erscheint und ebenfalls ein Gespräch mit mir führt. Er meint, so eine ungewöhnliche Konstellation und Verkettung von Ereignissen wie bei mir käme nur etwa einmal im Jahr in seiner bisherigen medizinischen Laufbahn vor. Hat ja auch was Positives. So bleibt man in Erinnerung. Zur Nachmittagsvisite wird mir eröffnet, dass ich am nächsten Tag wieder einmal nüchtern bleiben darf und gegen 10 Uhr 30 „dran“ bin. Nun gut, denke ich. Das ist eine akzeptable Zeit, wo der kleine Hunger sich noch nicht so stark in den Gedärmen festgebissen hat. Das rechte Bein wird am Abend noch einmal neu gewickelt. Nun hätte ich gerne einige meiner Mitarbeiterinnen hier, die das auch professionell wickeln könnten. Doch die Krankenschwester mit ihrer 33jährigen Berufserfahrung macht das tadellos und mein schickes, beigefarbenes Beingewand sitzt wie angegossen. Ich blättere in der „Badischen Zeitung,“ die mir ein Nachbar gegeben hat. Um den Papst dreht sich jede zweite Seite. Hier bei seinem Besuch in der Erzdiozöse Freiburg bekommt der Papst auch ein neues „Papa-Mobil“ gestiftet, worüber sich auch wieder viele aufregen. Es haben sich auch „Anti-Papst-Bewegungen“ gebildet, ein papstkritisches Bündnis „Freiburg ohne Papst“ und der Verein „Evolutionäre Humanisten“, die in den zwei Tagen seiner Anwesenheit öffentlich sein wollen.
Es gibt drei Zonen in Freiburg wegen des hohen Besuches. Gelb, Rot und Katholikbordeaux. Wer in der inneren Zone lebt, hat insofern schlechte Karten, wenn er keinen Passierschein beantragt hat. Auch das größte „Rischka-Unternehmen“ in Freiburg, die Fahrrad- oder Velotaxen dürfen an diesen Tagen nicht zum Einsatz kommen und fahren, d. h. fahren eher nicht, herbe Verluste ein. Es gibt schon seit Wochen auf großen Hinweistafeln ausgeschilderte „Pilgerwege“ in der Stadt für die Auswärtigen. Man muss also in diesem Herbst nicht zwingend nach Spanien fahren um den langen, staubigen Pilgerweg zu gehen. Hier ist er viel kürzer und die Straußenwirtschaften außerhalb der Zonen bieten statt Brot und Wasser so wie in Spanien Federweißen und Zwiebelkuchen an. So würde auch mir das Pilgern Spaß machen. Ich finde aber trotz intensivem Suchen keinen Hinweis in der Zeitung darauf, wie mit nordhessischen Traktorfahrern kirchlich verfahren werden soll, wenn sie sich trauen sollten, die päpstliche Bannmeile zu betuckern.
Vielleicht werde ich dann exkommuniziert oder der Teufel wird aus mir ausgetrieben. Da hätten die Exorzisten aber garantiert monatelang mit mir zu tun. Doch es isch, wie es isch: „Wir sind alle Papst!“ Ich informiere mich auch über die „Badische“, welche Orte rings um Freiburg liegen. Es gibt da: Glottertal, Kirchzarten, Umkirch, Au, Auggen, Mengen, Wildtal, Friedenweiler, Freiamt und Riegel. Und jeder Ort hat seinen eigenen Dialekt. Ich verstehe eh nur Bahnhof, wenn die Hiesigen sich unterhalten. Ich bin heute sehr unruhig und schlafe mit schweren Gedanken ein. Meine Gedanken weilen bei meiner Familie, denen ich ungewollt so viel Kummer bereite. Ich muss geduldiger werden, was mir aber nach wie vor sehr schwerfällt. Morgen ist ein neuer Tag. Ob es auch ein Tag für mich wird, wird sich „usswiesen“, wie der „Kasseläner“ spricht.
Lieber Rudi, ich danke dir herzlich für dein Lesen und die guten Wünsche. Wir freuen uns immer über deine Kommentare und die Grüße aus der Heimat. Bin gerade dabei, mir Gedanken über mein neues Reisebuch, das nächstes Jahr auf den Buchmarkt kommen soll, zu machen. Das lenkt mich auch gut ab von meiner derzeitigen Situation. Grüße bitte deine Frau und die beiden „Jungs“ von mir. LG Dieter
Hallo Dieter,
habe erst jetzt wieder Gelegenheit gehabt Deine Reiseberichte zu lesen. Deine Zuversicht ist bewundernswert.
Ich hätte nicht den Mut gehabt, unter diesen Umständen die doch recht anstrenge Tour fortzusetzen.
Ich wünsche Dir viel Glück für den notwendigen ärztlichen Eingriff und nachträglich an Barbara die besten Wünsche für das
neues Lebensjahr.
Rudi
Ich drücke jedenfalls beide Daumen und bin beeindruckt von dem Optimismus.