01. August
Der Sommer sollte spätestens jetzt, am 1.August beginnen. Tut er auch. Schon um 11 Uhr, als wir „auf Strecke“ sind, lese ich außen am Bauwagen im Schatten 24 Grad ab. Das kann ja heiter werden oder besser gesagt heiß. Vorgenommen haben wir uns, 96 km zu schleichen. Am Stadtausgang von „Sezanne“ eine Baustelle nach der anderen. Ein Bagger steht so unglücklich auf der Durchfahrstraße, dass ich anhalten muss, um zu berechnen, ob der Platz ausreicht, um uns vorbeizuquetschen. Der Platz reicht nicht aus. Hinter mir eine Schlange und ein gewaltiges Hupkonzert, das Barbara zum Verzweifeln bringt. Sie steigt aus, um vielleicht doch noch eine Passage für unsere Breite zu finden. Ein Arbeiter legt die Schaufel beiseite, spuckt in die schwieligen Hände und gibt mir das Zeichen, ich solle über die hohe Bordsteinkante ganz rechts an der überstehenden Häuserfront entlang fahren. Nach kurzem Zögern lege ich den dritten Gang ein und taste mich vor. Barbaras Blicke vom Gehsteig aus verheißen nichts Gutes. Der Wagen rumpelt und schaukelt einmal, aber dann so richtig auf. Ich bin mit dem hinteren rechten Rad des Bauwagens von der hohen Gehsteigkante abgerutscht und das Rad sah für einen Moment ganz zerknauscht aus, wie Barbara mir nachher vorwurfsvoll erzählen wird. Geschafft. Das Hupkonzert verstummt und wir brettern 500 Meter weiter zum nächsten Engpass, zur nächsten Baustelle.
Hier aber geht gar nichts mehr und die Arbeiter winken uns nach links in eine Seitengasse. Yiiipp! Das wird eng. Links und rechts parken Autos und Kleinlieferwagen. Fast alle stehen da im absoluten Halteverbot mit eingeschaltetem Warnblinklicht. Und meist nicht besonders gerade. Und nun kommen wir als Dickschiff auch noch daher. Es ist reine Kopf- und Zentimeterarbeit, aber ich komme irgendwie mit zusammengekniffenen Augen und hochgerollten Fußnägeln durch. Weiter hinten eine Citroen-Werkstatt. Ob die uns ein Ladegerät verkaufen? „Non, non!“ gibt der Monteur mir zu verstehen und holt einen Stift. Darauf zeichnet er eine Wegstrecke ein, etwa 800 Meter lang, wo es links von der Straße einen Auto-Zubehörladen geben soll. Und schon stehe ich gespannt mit dem Portemonnaie in der Hand im Geschäft und suche nach dem bewussten Teil. Das finde ich auch sofort. Das Superangebot für 40 Euro ist leider ausverkauft, aber das nächst größere Modell, das für Batterien bis 90 Ampere geeignet ist, kann der Verkäufer mir für „schlappe“ 60 Euro anbieten. Gekauft! So ist fürs Erste Genüge getan und eine Reparatur soll später folgen. Das Land wird hügelig und die sehr großen Anhöhen liegen hinter uns, sehr zur Erleichterung meiner Begleiterin. Weinberg folgt Weinberg und riesige Felder hochstehender Luzerne oder auch Sonnenblumen dominieren die südliche Champagne.
Jetzt weiß ich auch, warum vor jedem Weinberg ein paar Rosenstöcke gepflanzt sind. Wir haben ja einen recht guten Reiseführer von 1972. Da steht drin, dass die Rosen viel empfindlicher seien als der Wein und sie wären ein Anzeiger dafür, dass wenn sie welken, der Weinberg irgendeinen Schädlingsbefall hat. Hinter dem Ort „Fontaine-Denis“ auf der D 440 halten wir an und verzehren unsere Weißbrotschnitte mit Kalbsleberwurst. Die Butter ist geschmolzen und das Brot schmeckt ranzig. Da fällt uns auf, dass die hintere Batterie schon wieder ihren Geist aufgegeben hat und das Blinklicht sich nicht mehr dreht. Kein Licht, kein Warnschild. Heute ist Montag und die Polizisten schlafen sicher noch alle. Bei „Avon la Peze“ beschließen wir deshalb, den nächstbesten Campingplatz zu nehmen, der angezeigt wird. Und der ist schon bald erstaunlicherweise in Sicht. Vor dem Provinzstädtchen „Aix-en-Othe“ weist ein Schild zu einem Campingplatz, unmittelbar an den Stadtrand angrenzend. Wir haben zwar erst 75 Kilometer hinter uns gebracht, aber es soll für heute genügen. Es ist kurz nach 13 Uhr und wir sind da. Ein Kosovo-Albaner, der eine zeitlang in Bremen-Vegesack gelebt hat und etwas Deutsch spricht ist hier der Platzwart und Hausmeister und nimmt uns in Empfang. Der Campingplatz ist städtisch, völlig eben, sauber, an einem klaren Bach gelegen, in dem sich viele kleine Weißfische und Enten tummeln und sehr ruhig. Die Bedienstete der Stadt käme gegen 17 Uhr zum Kassieren. Die Toilettenanlage ist sehr gepflegt und es gibt nichts auszusetzen. Sofort schließe ich unsere zweite Batterie an das neue Ladegerät an. Es zeigt an, dass nur noch 3% Ladung da ist. Dann versuche ich dem Exil-Albaner zu erklären, ob es hier in „Aix-en-Othe“ wohl eine Auto- oder Elektrowerkstatt gäbe. Es gibt sie.
Ein paar Minuten zuvor, als ich zum xten Mal die Verkabelung nachgesehen habe, ist mir aufgefallen, dass ein Kabel völlig blank gescheuert ist und ständig mit einer metallenen Kraftstoffleitung sprühenden Kontakt hatte. Das hätte böse ausgehen können. Nur, ohne neuen Kabelschuh und Zange und bei der Enge im Kabelbaum lasse ich besser einen Fachmann ran. Der Albaner bietet sich an, mit mir zusammen in seinem alten Ford Fiesta eine Traktorwerkstatt aufzusuchen, um nachzufragen, ob jemand von dort zu uns auf den Campingplatz heraus fahren könnte. Ich steige zu dem grinsenden Albaner mit seinen leuchtend weißen Zahnreihen ein und nach zwei Kilometern sind wir in der Werkstatt. Der Inhaber selbst setzt sich spontan zu uns in den Wagen und nach fünf Minuten Rückweg begutachtet er den Schaden vor Ort.
Mit unserem Werkzeug, das ich ihm zureiche, schraubt er einige Schellen los und zieht, so gut es geht das blank gescheuerte Kabel ein Stückchen heraus. Dann bringt er einen neuen Kabelschuh an und isoliert das Ganze neu mit unserem Isolierband. 15 Minuten hat alles gedauert. Mir ist jetzt klar, dass, wenn das stromführende Kabel, das nach hinten die zweite Batterie über die Lichtmaschine mit Strom versorgt ständig sprühende Masse bekommt, nicht seinen Zweck erfüllen kann.
Hoffentlich habe ich Recht mit meiner Annahme. Der Meister will nichts nehmen, aber ich drücke ihm einen 10 Euroschein in die Hand. Dafür wünscht uns viel Glück für die Weiterfahrt. Auch der Albaner wird entlohnt. Dann laufen wir 200 Meter stadteinwärts und kaufen bei der französischen Supermarktkette „ Leader Price“ ein paar Lebensmittel ein. Ich besorge mir eine 1,5 Literflasche „Pennerglück“ für stolze 1,50 Euro in einer stilvollen Weichplastikflasche. Der weiße Landwein schmeckt verteufelt trocken, aber auch verteufelt gut. Die Honigmelonen sind auch sehr preiswert und Barbaras heißgeliebte Nektarinen, die sie am Liebsten hart und unreif isst, werden auch flugs in einer größeren Anzahl eingetütet. Als wir heute Mittag ankamen, waren wir die Einzigen auf dem Platz, der sicher über 50 Touristen aufnehmen kann. Am Abend sind es schon über 15 Camper, die zu uns stoßen. Ein holländisches Paar kommt gerade aus Südfrankreich, wo es bei einem internationalen Citroentreffen mit einem unglaublich schönen Reisegefährt war, einem 35 Jahre alten Citroen-Bus mit 45 PS, hellgelbem Lack, Riffelblech, nach hinten angeschlagenen Türen und einem nostalgischen Dachgepäckträger. Ein Traumauto, das ich genau so gerne für unsere Europatour genommen hätte wie einen Traktor. Ich biete beiden mit Überzeugungsmiene an, zu tauschen, aber sie wollen ihren gepflegten Oldtimer behalten. Im Moment komme ich nicht auf die Bezeichnung dieses seltenen Vehikels, das Kultstatus hat.
Später werde ich es benennen können, wenn es mir wieder einfällt. Fast schon vergessen: Seit gestern ist unser kleiner Kühlschrank auch noch ausgefallen. Nichts geht mehr. Ich sah gestern Mittag alle Kabel und die Sicherungen nach, doch ich finde keine Unterbrechung. Das wird was werden im Süden bei 40 Grad ohne Kühlschrank. Wären wir doch ein halbes Jahr am Nordkap geblieben. Doch wundersam, als wir auf unserem neuen Campingplatz Strom ziehen, funktioniert unser Kleiner wieder ohne Murren. Das Innenthermometer sinkt nach zwei Stunden von 22 auf 14 Grad. Nun scheint unsere große, weite Welt wieder in Ordnung. Barbara schaut fern, ich sitze in der Sonne an unserem Campingtischchen und schreibe, so wie jeden Tag. Es lebe das Leben!