4. August
Abreisetag und schon wieder ein ganz Besonderer. Als wir um zehn nach Acht im Trecker sitzen, versuchen wir unsere Tochter Tamara auf ihrem Handy zu erreichen. Sie meldet sich leider nicht. Heute ist ihr 35.Geburtstag und wir wollten eigentlich die Ersten sein (außer ihrem Ehemann natürlich), die ihr gratulieren. Der Himmel ist klar und es verspricht ein guter Tag zu werden. Schnell gieße ich noch unsere drei Blumenkästen und die Töpfe mit Schnittlauch und Petersilie. Durch den mitunter scharfen Fahrtwind bei unseren Talfahrten mit 25 km/h wird die Erde schnell trocken und ich gebe jeden Tag Wasser hinzu. „Vermenton“ ist schnell erreicht, der Verkehr schwach und die Stimmung gut. Heute haben wir mal zusammen die Tour geplant und so hoffen wir ohne Umwege zum Ort „Chateau-Chinon“ zu kommen, wo es vermutlich einen oder sogar mehrere Campingplätze gibt, da dort ein See in der Nähe ist. Die nächst größere Stadt, die in der Nähe davon liegt (östlich) ist „Dijon.“
Vor „Vezelay“ beginnen wieder die unendlichen Weinberge. Der ausgesprochen wunderschön auf einem Felsen gelegene Winzer- und Touristenort erinnert an eine Festung, wenn man vom Tal nach oben schaut. Um den Ort herum sind trutzige, hohe Mauern gezogen und wirken mit dem Felsen wie eine gewachsene Einheit. So etwas Malerisches kann man kaum in Worte fassen. Daher fotografiert Barbara während der sehr steilen Auffahrt unablässig und kriegt sich gar nicht mehr ein, so fasziniert ist sie von den Ausblicken von ihrem Beisitzernothocker. Ich dagegen habe Mühe, den Berg hoch zu kraxeln. Im Ort dann geht es durch eine wahnsinnig schmale Gasse steil bergab. Das quietschende Geheule der Auflaufbremse lenkt alle Blicke auf uns. Unten angekommen stehen Buden dicht an dicht und ich habe noch mehr Mühe, mich durch die Passanten und vorgebauten Verkaufsstände hindurch zu quetschen. Einige stehen am Trottoir und klatschen Beifall. Vielleicht halten sie uns für eine weitere Attraktion dieses Jahrmarktes. Der Landesteil Burgund (Bourgogne) ist an keiner Stelle frei von Bergen.
Aber die Landschaft tröstet uns über das emsige Schalten hinweg. Im Dorf „Bazores“ meint man, mitten in einer Filmkulisse zu stehen. Aber alles ist echt und die Franzosen können stolz auf ihr Land sein. Den Fluss „La Cure“ überqueren wir noch einmal bei „Lormes“ und dann geht’s auf in die Berge. Schon wieder! Die Höhenstraße, ich weiß nicht von welchem Gebirge, zieht sich über eine halbe Stunde. Kurve an Kurve und immer bewegen wir uns zwischen 7 und 11%. Das lässt das Kühlerwasser im Nu auf 85 Grad kommen und als wir einen kleinen Parkplatz erreichen, halte ich an, um den Motor abkühlen zu lassen. Auch der „kleine Hunger“ meldet sich und wir verzehren unsere Stullen. Heute mit schönem fettem, fast flüssigem Brie und dicker Butter belegt. Jetzt haben wir auch Glück mit der Verbindung nach Deutschland und können unserer großen Kleinen endlich zu ihrem Geburtstag gratulieren. Wenig später, nach einer Schussfahrt ins tiefe Tal erblicken wir einen Stausee, der von der Yonne gespeist wird.
Das Wasser schimmert gelblich und in der Mitte des künstlich angelegten Sees sehen wir eine ebenso künstlich angelegte kahle Insel. Immerhin, es ist Wasser.
Damit nicht genug springt uns ein Schild in die Augen mit dem Hinweis auf einen Campingplatz. Hurra! Nur 10 km von unserm geplanten Tagesziel entfernt und nach nur 78 getuckerten Kilometern und das auch noch schon vor 13 Uhr laufen wir ein. Der hagere, unrasierte Franzose mit dem schütteren Haar weist uns einen Platz zu. Wir stehen heute unter einer hohen Eberesche, die aber keine Früchte trägt. Viel lieber würde ich mal unter einem Aprikosenbaum stehen, so wie wir einige am Straßenrand mit vollreifen Früchten gesehen haben. Um uns herum Franzosen und Holländer. Direkt gegenüber stehen 3 alte Enten. Eine davon ist eine uralte Kombiente, so wie ich sie einmal gefahren habe. Frankreich, das Land der Döschewos, der 2CVs, der Enten. Ich bin begeistert. Nach dem Kaffeetrinken essen wir den Rest vom gestrigen Sandkuchen und bewegen uns den Hang runter über das kleine Wäldchen auf den See zu. Er ist kaum eingewachsen und begrünt und das Ufer ist sehr steinig. Als ich einen Schritt ins Wasser gehe, versinke ich fast im Lehmuntergrund. Igitt! Kein See zum Baden. Leider! Und heute wäre doch wieder mal die Gelegenheit bei 28 Grad schwimmen zu gehen. Ein fahrbares Geschäft bleibt auf dem Campingplatz stehen. Barbara geht neugierig geworden mit einer Einkaufstasche hin und kommt mit zwei Portionen Wurst- und Krautsalat zurück. Das Abendessen ist gesichert. Bratkartoffeln und die Salate dazu.
Hmmh! Wieder mal ein Festessen für uns Vagabunden, die wir nach wie vor gaumenmäßig auf unserer Reise nicht verwöhnt sind. Wenn ich z.B. Franzosen mit Polen vergleiche und die durchschnittliche Konfektionsgröße der weiblichen Bewohner des jeweiligen Landes benennen soll würde ich sagen, im Durchschnitt hat die polnische Frau eine Kleidergröße von 40 und die Französin 44. Ob das nur vom guten Essen kommt oder einfach nur von der Lebenseinstellung? Aber auch bei den Männern ist es ähnlich.
Auf dem Schotterweg vor unserer Tür spielen ein paar junge Männer und Frauen stundenlang Boccia ohne zu schwächeln. Das wäre mir mit der Zeit aber zu anstrengend, in der prallen Sonne auf einem staubigen Weg zu stehen und Eisenkugeln in den Dreck zu werfen. Diese Franzosen sind aber eher schlank. Vielleicht verlieren sie bei ihrem Spiel immer dann zu viele Kalorien, wenn sie sie schmerzvoll aus Versehen von einer dieser Kugeln getroffen werden und einen mehrminütigen Veitztanz aufführen. Auch eine Art, sich von überflüssigen Pfunden zu befreien. Ich ziehe es vor, mit Barbara eine Flasche guten französischen Rotwein zu trinken. Das Laufen zur Toilette verbrennt an einem langen Abend genug Kalorien.