7. August
Der Himmel hat sich ausgeweint. Die dunklen, wassergefüllten Wolken ziehen nach Norden ab. Wir dagegen starten in den Süden nach Irgendwohin, ins Blaue. Alle Camper stehen vor ihren Wohnwagen oder Zelten und halten die Kamera hoch und winken. Alle Daumen zeigen nach oben. So ist das eigentlich immer auf den großen Campingplätzen. Da heute Sonntag ist, wollen wir nicht so lange auf unseren „Poschmeichlern“ herumsitzen und einigen uns auf eine Fahrtzeit von maximal vier Stunden.
Da wir, besonders in Frankreich überwiegend nur die kleinen und kleinsten Nebenstrecken fahren können, die auch fast immer verkehrsarm sind, kommen wir nur auf einen Stundenschnitt von etwa 17 km/h. Dafür sehen wir auch mitunter viel mehr als der „gewöhnliche“ Durchreisende, der in der Regel eher die großen Durchgangsstraßen oder gleich die mautpflichtige Autobahn nimmt. Schon eine ganze Weile, vorher, bevor wir immer mit Getöse an ein Dorf heran fahren, öffnen sich einige Haustüren und die Bewohner stehen davor und winken uns zu oder schauen uns nur ungläubig mit offenen Mündern nach. Manche Leute scheinen wie hypnotisiert zu sein, wenn sie uns sehen und halten ruckartig in der Bewegung inne, egal ob sie gerade den Hof fegen oder die Rüttelmaschine an der Baustelle bedienen oder auch mit der Gießkanne die Balkonblumen gießen. Das sieht sehr lustig aus und erinnert mich immer wieder an das Märchen Dornröschen, wo alle just in ihrer Körperhaltung verzaubert stehen bleiben und in einen tiefen Schlaf fallen. Doch soweit kommt es Gott sei Dank nicht, wenn wir Vagabunden auftauchen. Wir fahren am nordöstlichen Zipfel der „Bourgogne“ entlang, der ausgesprochen stark bewaldet ist.
Und nicht nur das, dieser „Zipfel“ ist mit Bergen nur so durchsäht. Kleinere Bachläufe queren die Wege und rauschen glucksend zu Tal. Auch kleinere Teiche vor den Dörfern sehen wir, wo die angestammten Dorfenten die Ufer nach Entengrütze und Wassertieren absuchen. Bis zur Stadt „Le Donjon“ geht es ja noch mit den Steigungen. Aber schon hinter „Lepalisse“ geht dem Zetor schneller als ich gedacht habe die Puste aus. Manche Steigungen kann man einfach vorn vornhinein nicht berechnen. Und dann sind da noch die Abwasserrinnen in die Straßen eingefasst, wo ich immer kurz vom Gas zurückgehen muss, damit wir nicht zu arg durchgeschüttelt werden. Allein über fünfzig Minuten führt uns unsere Route über einen einzigen Berggipfel, der nicht enden will. Zwischen 4 und 10 Prozent Steigungen im steten Wechsel mit sehr engen nach außen oder nach innen fallenden Kurven lassen mich keine Sekunde unaufmerksam sein. Wenn ich nach hinten schaue, hängt der Bauwagen manchmal so schräg, dass ich trotz der Unebenheiten auf der Straße Vollgas geben muss, um schnell aus der Schräglage wieder herauszukommen. Die Aussichten zwischendurch, wenn mal freie Sicht besteht ist atemberaubend. Man muss sich vorstellen, man wäre auf den Höhen des Schwarzwaldes. So ähnlich gestaltet sich die Landschaft hier oben. Es wird auch empfindlich kühler und ich schließe die Heckscheibe. Das ist für meinem Nacken und den beiden Bandscheibenvorfällen in diesem empfindlichen Bereich auch erträglicher, wenn kein steter eiskalter Luftzug von hinten kommt. Wir sehen ein putziges Schild am Straßenrand. Rund und rot eingefasst auf weißem Grund die Aufschrift in schwarzer Schrift: „SAUF SERVICE.“ Ob es hier im französischen Gebirge etwa eine „Ballermannzweigstelle“ gibt, wo einem der Alkohol nur so eingetrichtert wird ? Ich denke eher, dass es ein Warnschild ist. Aber es liest sich drollig für uns Deutsche. Ab und zu begegnen uns alte Renault- und Fiattraktoren, die alle in einem schlechten äußerlichen Zustand sind und viel Patina auf ihrem Blechkleid haben. Aber es sind ja Arbeitsmaschinen und keine Ausflugstraktoren. Auch die Marke Fendt und besonders John Deere ist in Frankreich vertreten. Nur Zetoren sieht man keine. Viele Orteingangsschilder wie auch schon in der Champagne oder in der Bourgogne sind mit Blumenarrangements umflort.
Schön sieht das aus und man fühlt sich willkommen geheißen. Die letzten 7 Kilometer sind am schwersten zu bewältigen. Nun werden die Wege noch schmaler und mitunter auch so stark ansteigend, dass ich auf halber Höhe in einer Seitenbucht den Motor nach ein paar Minuten abstelle und wir eine kleine Rast einlegen. Da bleibt ein Bauer mit seinem Peugeot neben uns stehen, zeigt mit dem Daumen nach oben und macht uns klar, dass unser Gespann in seinen Augen „super“ ist. Wir geben ihm eine Visitenkarte und er fährt lachend wieder davon. Wir konnten ihn auch nach dem nächsten Campingplatz befragen und er hat uns an einer Hand alle seine fünf schwieligen Finger gezeigt. Das wäre ja schön, wenn wir „unseren“ Platz schon in wenigen Minuten fänden. 67 km sind wir getuckert und da taucht auch schon hoch oben auf einem Plateau der malerisch gelegene Ort „Chatel Montagne“ in der Ferne auf. Wir aber befinden uns noch im tiefen Tal, wo die Rinder mit zwei kurzen und zwei langen Beinen auf den Steilhängen stehen und grasen und glotzen. Und dann geht’s wieder bergan, dass man vergisst sich anzuschreien, weil durch den Lärm, den der Motor macht, sowieso keine verständliche Silbe zum anderen durchdringt. Wir stehen vor einem Bergcampingplatz. Wunderschön gelegen ist er mit einer kleinen hölzernen, heimeligen Rezeption, einem mittelgroßen Bassin zum Schwimmen und Planschen, einem eingewachsenen Naturgrundstück, das kaum parzelliert ist und einer Aussicht auf die sattgrünen Berge ringsum. Fantastisch!
Diesen Platz können wir ruhigen Gewissens auch für einen längeren Aufenthalt wegen seiner exponierten Lage und auch wegen des Tagespreises und der Freundlichkeit seiner Besitzer uneingeschränkt empfehlen. www.campinglacroixcognat.com Der Besitzer fühlt sich geehrt, dass wir auf seinem Gelände übernachten wollen und wir dürfen uns hinstellen wo wir möchten. Nur eine holländische Familie mit einem Wohnmobil steht auch noch da. Wir platzieren uns unter einen wilden Zwetschgenbaum, der sehr saure und nur kleine Früchte trägt. In der Nähe lässt ein Esel seinen Unmut mit seiner lauten Stimme aus sich mit Inbrunst raus. Das schallt vielleicht übers Tal! Einen Aufkleber bekommen wir auch noch und eine Campingkarte von diesem Gebiet im französischen Zentralmassiv. Das hat zwar keinen so hohen Berg wie der Mont Blanc, aber uns reicht diese Höhenlage vollkommen aus. Wie ich las, leben in Frankreich im Durchschnitt auf einem Quadratkilometer nur 115 Menschen. Hier im Gebirge sicher viel weniger, denn die Orte liegen weit auseinander und bestehen meist nur aus 10-20 Häusern. Kühe dagegen und Schafe gibt es zuhauf. Wir sind sehr zufrieden, dieses schöne Fleckchen Erde gefunden zu haben und trinken erst mal in Ruhe Kaffee und essen Waffeln mit Süßkirschmarmelade dazu, die uns meine Mutter über unsere Tochter nachgeschickt hat. Kirschen aus unserem eigenen Garten in Carlsdorf! Das muss ja schmecken! Gegen 20 Uhr probieren wir mal die Campingplatzküche aus. Wir sind schon etwas enttäuscht, als wir getoastetes Weißbrot mit einer inliegenden Kochschinkenscheibe und einer dünnen Lage Käse serviert bekommen, das mit fünf Gabeln Feldsalat und einigen Tomatenstückchen umlegen ist. Das Dosenbier dagegen lässt sich gut trinken und ist schön kühl. Ich habe meinen Laptop mitgenommen und kann problemlos den neuesten Tagesbericht und auch die dazugehörigen Fotos in unsere Homepage einsetzen.
Das Netz ist optimal und ich beantworte schnell noch zwei Mails, bevor der Akku leer ist. Eine kuriose Besonderheit gibt es aber noch: Vor den drei Toiletten, vor denen für jeden Besucher der Pfad zur Rezeption oder zum Imbiss führt, hängt außen an der Steinwand an einem langen Nagel eine Rolle Toilettenpapier. Und das ist in Quietschrosa eingefärbt. Ich suche vergeblich die Rolle für die Gents in blauer Farbe, finde aber nichts dergleichen. Das Spaßige an der eigentlich banalen Sache ist, dass jeder andere Gast, der die Toilettengänger beobachtet, genau mit abzählen kann, wenn er gut zählen kann, wieviel Blatt Papier der Bedürftige sich von der Rolle nimmt. Nehmen wir nun mal an, man nimmt nur drei Blatt und das Bedürfnis ist größer als man dachte, was passiert dann? Man zieht sich schnell die Hosen vorsichtig wieder hoch, tritt vor die Toilettentür auf den Kiesweg, grüßt verkniffen die Vorbeigehenden und rollt für weitere Reinigungsaktionen neu ab. Ich bin „ganz von der Rolle“ als mir diese profanen, aber doch lebenswichtigen Überlebensgedanken kommen. Stopfe ich mir zuviel vom dem Rosafarbenen in meine Hosentasche, trage ich mitunter ein paar Tage das Unbenutzte mit mir herum und habe keinen Platz mehr in meiner Hose für andere wichtige Dinge. So finde ich einen Kompromiss und reiße für jede meiner Jeanshosentasche 10 Blatt ab. Genug fantasiert! Nun haben wir vor, ab Morgen sechs Tage lang am Stück zu fahren, wollen aber dann drei Tage pausieren. Wenn jedoch die Temperaturen wieder auf dreißig Grad zugehen und in der Treckerkabine über vierzig Grad herrschen, überlegen wir uns das aber noch einmal. Ich stelle am Abend mit Bestürzung fest, dass das rechte Differenzialgetriebe schon wieder leckt und Öl raus wirft. Auch die Handbremse hat so ihre Tücken. Manchmal kann ich den Handbremshebel anziehen und manchmal nicht. Das ist besonders unangenehm, wenn man bergan vor einer roten Ampel steht und nur mit dem massiven Druck auf die Fußbremse den Trecker am Zurückrollen hindert. Bauwagen und Traktor haben schon gewaltig Federn lassen müssen nach bald 10000 getuckerten Kilometern und ich kann nur hoffen, dass keine größere Reparatur mehr kommt.