Wir wachen relativ spät auf. Es ist schon nach Acht. Es sind nur noch 18 km bis Lezignan zu fahren. Der „Canal Du Midi“, neben dem wir die Nacht verbracht haben, wurde im 17. Jahrhundert von Pierre-Paul Riquet erbaut. Um den Atlantik mit dem Mittelmeer zu verbinden, durchzieht er das Departement „Aude“ von Westen nach Osten über mehr als 100 km. Der Kanal bietet älteste Erfindungen des Wasserbaus und bemerkenswerte Bauwerke, die zum teil seit ihrer Entstehung unverändert erhalten geblieben sind. Dieser Treidelweg ist von 300 Jahre alten Bäumen gesäumt. Seit Dezember 1996 ist der Kanal Du Midi, auch „Canal Royal du Languedoc“ genannt, eingetragenes Weltkulturerbe der UNESCO. Dann kommt das Wasserkochen für den obligatorische Schwarzen Tee per Gasflamme dran und den Rest eines drei Tage alten pappigen Baguettes mit immer voller werdendem Mund verzehren. Für einen Gourmet ein Graus. Für uns auch. Doch… neuer Tag, ein neues Glück. Wer an sein Glück glaubt, den verlässt es auch nicht. Das war schon immer mein Glaube an die Zukunft und an mein bewegtes Leben. Wenn es mal schlecht geht, dann sollte man sich eher freuen als Trübsal blasen. Denn nach einem schlechten Tag, nach einer schlechten Woche, nach einer schlechten Zeit folgt immer eine Gute, die einen das Negative, das Vergangene vergessen lässt. So auch heute, wo wir gegen Neun die verantwortliche Managerin, die für besondere kulturelle Feste und Feiern und für Begegnungen mit meiner Geburtsstadt Lauterbach verantwortlich zeichnet, per Handy anrufen. Gestern haben wir es schon zweimal, aber außerhalb der Bürozeiten versuchen, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Heute klappt es. Veronique Reynier meldet sich spontan und sie spricht auch unsere Sprache, was meine Erklärungen über unser Hiersein bedeutend vereinfacht. Sie versteht und will uns einen Platz reservieren, wo wir die nächsten 3 oder 4 Tage bleiben wollen. Olala! Daran haben wir gar nicht gedacht, uns auf dem 3-Sterne-Platz rechtzeitig anzumelden. Die Franzosen haben Schulferien und die meisten Campingplätze sind ausgebucht. „Merci, Madam Reynier!“ Wir sehen uns ja gleich in Ihrer schönen, alten Stadt in den Corbiers.
Wir schleichen uns stur südwärts durch das alte Land der Katharer, einem Volksstamm, der hier vor über 800 Jahren einmal heimisch war. Doch wir treffen keinen Lebenden mehr an. Durch die besonders präzise Beschilderung schon am Rande der Stadt ist der Campingplatz gut auffindbar. Die Stadt macht einen sehr positiven Eindruck auf seine Gäste. Lezignan braucht sich nicht hinter der Kreisstadt Lauterbach und der ehemaligen Kreisstadt Hofgeismar zu verstecken. Jede dieser drei Städte hat Großes zu bieten und die kulturellen Stätten sind alle kaum in nur einer Woche zu besuchen. Die rezeptin weiß schon Bescheid über unseren Kurzbesuch. Wir bekommen einen traumhaft ansprechenden, ruhigen, sehr großen Stellplatz zugewiesen, direkt neben der Anmeldung und gegenüber der Sanitäranlage und oberhalb des kleinen Schwimmbades. Auch über die nur 18 Euro Platzgebühr einschließlich Strom, Dusche und Freibadbesuch kann man sich über diesen reizvollen Dreisterneplatz nur freuen.
Auch ein Restaurant gibt es um die Ecke und zur sehenswerten Altstadt und zum Zentrum sind es nur 10 Minuten Fußmarsch bergab. Ich schätze, dass wir 200 Quadratmeter Stellfläche haben. Die Wasserzapfstelle liegt direkt hinter dem Bauwagen und der Stromanschluss ist daneben. Das Gelände ist insgesamt stufenförmig parzelliert angelegt mit einem uralten Baumbestand. Und das Beste daran ist…wir stehen zwischen zwei Feigenbäumen, einem Olivenbaum und einer Akazie. Die Feigen fallen zum Teil, wenn ein wenig Wind kommt vollreif vor unsere Bauwagentür. Man braucht sich nur zu bücken, um die vollfleischigen, süßen Edelfrüchte aufzusammeln.
Auch viele Pinien und hoch aufragende Koniferen und Zypressen stehen in unmittelbarer Nachbarschaft. Überall blühende mannshohe Hibiskushecken mit tausenden von Blüten in allen Schattierungen. Und Bodendecker, die herrlich blühen und duften. Wir fühlen uns hier in der Stadt in den Corbieres, den Ausläufern der Pyrenäen, wie im Paradies. Besser konnten wir es nicht treffen. Auch Zeltcamper gibt es hier wie überall. Die Art und der Aufbau der Zelte haben sich im Laufe der Jahrzehnte doch gewaltig geändert. Steilwandzelte sind out. Rundbogenzelte, die nur mit wenigen Handgriffen aufzubauen sind, sind heute vorherrschend. „Quechua“ heißt die bekannteste französische Zeltmarke und es gibt die Behausungen, die bis zur Stehhöhe reichen können in allen Größen, Farben und Formen. Gegen 13 Uhr besucht uns Veronique Reynier.
Sie erzählt, sie habe das für einen Scherz gehalten, als ich ihr am Telefon sagte, wir kommen mit einem alten Traktor an. Nun aber steht sie da und staunt und staunt. Veronique ist eine adrette, junge und hübsche Französin, die den Lauterbacher Prämien- und Herbstmarkt schon zigmal besucht hat. Die Lezignaner haben da immer einen Wein-und Spezialitätenstand bei diesen Heimatfesten, wo Südfrankreich in seiner ganzen lukullischen Vielfalt, besonders aber Lezignan gut vertreten ist.
Schon vor über 35 Jahren ist diese wunderbare Städtepartnerschaft zwischen Lauterbach und Lezignan entstanden und sie ist und bleibt aktiv genau so wie die Partnerschaft zwischen Hofgeismar und Pont-Aven. Wenn Pont-Aven auf unserer Strecke läge, hätten wir natürlich dieser Stadt auch einen Besuch abgestattet. Doch das liegt leider viel zu weit im Westen Frankreichs. Vielleicht ein andermal. Vielleicht mal mit unserem Dreiradautochen, Piaggio APE?
Wir laufen zur Stadt. Den einen Kilometer schaffe ich nur mit häufigem Stehenbleiben, so zwickt mich meine Schiene. Unten angekommen, lassen wir uns im erstbesten Restaurant eine eiskalte Cola mit Eiswürfeln auf den Tisch stellen. Das zischt! Da wir nicht so viel schleppen wollen, holen wir nur das Nötigste an Getränken ein und einen kantigen Honigkuchen für die kommenden Nachmittage. Im Touristenbüro bekommen wir in deutscher Sprache ein paar Prospekte. Drei Aufkleber für den Trecker auf Postkarten erstehen wir in einem Papierwarenladen. Hier in der City herrscht ein reges Leben. Überall sitzen die Leute unter Platanen oder Palmen im Schatten und schlürfen irgendein Getränk. Auch wir gehen ständig auf der Schattenseite der Trottoirs. Bei 34 Grad Wärme klebt der Teerbelag an unseren Sohlen und das Atmen fällt schwer. Gegen 18 Uhr besuchen wir das Freibad. Man trägt hier zur Identifizierung ein grünes Gummiband am Handgelenk. Am Eingang müssen wir alles, außer den Badesachen und den Handtüchern in ein Körbchen legen.
Will man zum Wasser, ist man gezwungen, durch eine Dauerberieselungsanlage zu gehen, die kein Härchen trocken lässt. Das Wasser hat 28 Grad. Viel zu warm, um sich richtig abzukühlen. Nach einer halben Stunde ist unser Schwimm -und Plantschbedarf gedeckt und wenig später liegen ein paar knusprig gebratene Fischstäbchen auf unseren Porzellantellern.
Zwar nicht gerade das urfranzösische Essen, aber wir hatten Appetit darauf. Der Wagen hat sich nach 21 Uhr auf 33 Grad aufgeheizt und wir müssen uns heute Nacht irgendwie mit der Wärme arrangieren. Eine Aufnahmemadam fährt in ihren Elektrowägelchen über den Platz und ich kann sie nach dem Passwort für’s Internet befragen. Morgen habe ich 11 Tage aufzuholen und ich bin schon ganz kribbelig, da einiges nicht mehr so taufrisch in der Erinnerung ist, was die Fotos betrifft. Mal sehen, was daraus wird.