Veronique ruft an und eröffnet uns, dass wir heute nach 18 Uhr besonderen Besuch bekommen. Eine Redakteurin der hiesigen Zeitung will uns interviewen und Veronique kommt als Dolmetscherin auch mit hoch zu uns auf den Platz. Das wäre der 25ste Zeitungsartikel, wo wir Schlagzeilen machen. Na so was! Leider habe ich die beiden anderen Zeitungsartikel der beiden vorangegangenen französischen Tageszeitungen per Email nicht bekommen, wie mir fest versprochen wurde. Das ist jammerschade, denn wir haben uns jedes Mal sehr viel Zeit mit Erklärungen genommen. Ich baue zum ersten Mal unsere Markise an den Bauwagen an.
Die uns von Zetor-Deutschland in Furth i.Wald gestiftete orangerote Flagge mit Zetoraufschrift haben wir noch vor Abfahrt in Deutschland so umgeformt, dass sie als Sonnenschutz taugt. Die fünf ausziehbaren Teleskopstäbe und die Heringe und die Spannseile, die uns unser guter Norbert Heib aus Chaplinek in Polen gestiftet hat passen hervorragend. Nach einer guten halben Stunde steht, bzw. hängt alles straff gespannt und schon haben wir auch auf der anderen Seite des Wagens Schatten. Die Sonne hat hier unten in Südfrankreich eine enorme Strahlkraft und wo ich sonst jeden Sonnenstrahl ausnutze, bewege ich mich seit Tagen nur noch im Schatten. Farbe haben wir genug bekommen, außer an den Fußsohlen natürlich. Die wollen einfach nicht braun werden. Da unser Stellplatz so „günstig“ liegt, dass alle, die auf dem Campingplatz zuhause sind an uns vorbeigehen oder fahren müssen, ist ein Volksauflauf kaum vermeidbar und es stehen immer wieder Leute vor unserem Gespann und möchten Auskunft. Trotzdem ist es sehr ruhig hier, besonders wenn wir fast unbemerkt auf unseren Stühlen hinter dem Wagen sitzen und lesen. Am Nachmittag besehen wir uns einmal das ganze Areal des Dreisterne-Platzes. Wir brauchen eine halbe Stunde, um die vielen Wege abzugehen. Sehr schön angelegt sind die anderen Stellplätze auch. Meist etwas versteckt im Hintergrund in Nischen und begrünten Winkeln haben hier die anderen Urlauber ebenso die Ruhe, die sie zur Erholung brauchen.
Es gibt in mehreren Höhenlagen immer wieder sichtgeschützte Camper-Areale und auch ansprechende Ferienhäuser und Caravans, die mietbar sind. Mitunter bekommt man ganz oben auf den höchsten Stellplätzen einen schönen Fernblick über die großflächige Stadt und das hügelige Hinterland mit seinen Zypressen, Olivenbaumalleen und Weinbergen. Wir können uns satt sehen, so oft und so lange wir wollen und das Schauen kostet nichts. Ursprünglich wollten wir auch heute gegen Abend schwimmen gehen, aber viel lieber sitzen wir im Schatten und trinken eine Flasche Wasser nach der anderen aus unserem kleinen, aber leistungsfähigen Kühlschrank.
Dann wird es langsam Zeit, sich „landfein“ zu machen. Um Halbsieben will uns die Reporterin und Veronique aufsuchen. Wir sind gespannt, was da auf uns zukommt. Eine junge Frau in einem hübschen, wippenden Sommerkleid kommt den Weg hoch geschlendert. Über die Schulter hat sie eine schwarze Tasche gehangen. In der Hand hält sie einen weißen Block. Das muss sie sein. Tatsächlich, sie stellt sich als die Zeitungsmacherin des Lezignaner Blattes vor. Nur wo bleibt nur Veronique, unsere Übersetzerin? Nur 10 Minuten trifft auch sie ein und meine pantomimischen Erklärungsversuche haben ein Ende. Aber da kommt noch jemand den Hang zu uns hinauf. Es ist der verantwortliche Touristikmanager der Stadt und er spricht sogar ein wenig Deutsch. Ein sehr lustiger, humorvoller Mann mit vielen Lachfalten im Gesicht und man merkt, dass er seinen Job gerne ausführt. Oft war er schon am Prämienmarkt, dem größten Volksfest im Vogelsbergkreis in Lauterbach zu Gast und kennt sich in meiner Geburtsstadt gut aus. Wir stimmen gemeinsam das Lauterbacher Volkslied „In Lauterbach hab’ ich mein’ Strumpf verlor’n und ohne Strumpf geh’ ich net ham“ an. Er auf Französisch und ich auf Deutsch. Beim Refrain schunkeln wir andeutungsweise und die anderen Gäste bleiben stehen und schauen uns zu. Dann tritt noch ein weiterer Mann in einem bunten Hemd und weißen Hosen zu uns. Er stellt sich als Bürgermeister der Stadt Lezignan vor und hat ebenso seinen Spaß am Singen wie die anderen. Auch hat er uns ein Geschenk mitgebracht: Drei besonders gute Flaschen edelsten roten Wein aus den Corbieres in einer schönen Verpackung und dazu noch zwei weiße T-Shirts, worauf steht:“ Au coeur de l’Aude – Aux portes du Minervois-Lezignan-Corbieres.“ Zweimal XL. Das passt wie angegossen, wie wir umgehend feststellen. Wir empfinden diesen hohen Besuch hier bei uns auf dem Campingplatz als eine große Ehre und bedauern es, dass wir nur zwei Klappstühle und viel zu wenig Trinkgläser besitzen, um es unseren exklusiven Gästen zu bewirten. Alles wird eingehend inspiziert, außen wie innen und das Lob will kein Ende nehmen.
Wir sind in noch gelösterer Stimmung, als wir zu einer Weinprobe eingeladen werden. Diese findet auf dem Außengelände vor der Rezeption statt, wo schon seit heute Mittag jede Menge Tische und Stühle aufgestellt sind. Wir bitten den Bürgermeister, den Touristikmanager und Veronique, sich in unser „Goldenes Buch der Globetrotter“ einzutragen, was diese auch mit sehr schöner, sauberer Handschrift umsetzen. Danach werden wir zu einer Weinprobe nach nebenan eingeladen. Ein junger Winzer veranstaltet auf der Fläche vor der Rezeption, wo heute viel mehr Tische und Stühle als gestern aufgestellt sind, eine Degustation feinster roter Weine aus Lezignan und Umgebung. Ein Elektrowägelchen fährt alle Ecken des Campingplatzes ab und per Lautsprecher wird diese Veranstaltung bekannt gegeben. Wir sagen also zu. Veronique geht mit uns die 50 Meter und wir sitzen inmitten anderer, fast ausschließlich französischer Menschen an einem langen Tisch. Es dauert nur Minuten, da habe ich schon Kontakt mit den Sitznachbarn. Gläser werden an den Tisch gebracht, jedoch zu Trinken gibt es nichts. Nanu? Wir warten und der Durst wächst. Da endlich! Der Chef des Platzes begrüßt seine Gäste. Dann steht der Bürgermeister vor dem Mikrofon und hält eine lange, sehr schnell gesprochene Ansprache. Er scheint es humorvoll zu machen, da einigen Leuten das Grinsen im Gesicht steht. Und plötzlich hören wir, soweit können wir es auch ohne Übersetzung verstehen, dass er über uns, über unsere Anwesenheit hier in Lezignan spricht. Die Übersetzung: „ Ich heiße unsere Gäste aus unserer Partnerstadt Lauterbach in Hessen auf’s Herzlichste willkommen, die den weiten Weg nicht gescheut haben, unsere Stadt in den Corbieres aufzusuchen. Sie sind auf Europatour und bisher 12000 Kilometer mit einem Traktor und einem alten Bauwagen über das Nordkap in den Süden zu uns gekommen, um hier ein paar erholsame Ferientage zu verbringen. Herzlich willkommen!“ Uff! Wir bedanken uns mit Kopfnicken. Alle Augen gehen in unsere Richtung. Dann begrüßt der Winzer die Gäste und preist minutenlang den ersten Probierwein an, wobei er die Flasche mit dem samtroten Inhalt während den Beschreibungen immer hin und her dreht. Meine Zunge hängt an den Knien. Aber da erscheint eine junge Frau und schenkt uns ein. Maximal 0,1 Liter gibt sie ab. Wir prosten uns in der Runde zu. Dann werden Häppchen gereicht in Form von Käse- Leberpastete- und Wurstspießchen, immer mit einer Weintraube verziert. Danach wieder eine lange Rede über die Entstehung der nächsten Sorte usw. Nach 90 Minuten löst sich die Veranstaltung auf und ich springe in den Bauwagen, um meinen immensen Durst mit 10 Schlucken eiskaltem Weiswein zu löschen. Wir haben uns trotzdem sehr amüsiert und waren Veronique sehr dankbar, dass sie mitgekommen ist, allein wegen der Sprachprobleme. Wir werden sie, wie auch den Tourismusmanager am 6. November in Lauterbach zum Herbstmarkt wiedersehen und freuen uns schon heute auf die Begegnung. Es kommt ein leichter Wind auf und die Temperatur sinkt gegen 22 Uhr auf 29 Grad ab. Auch Wolken tauchen auf und die Sterne funkeln nur noch in den Wolkenlücken. Wir sitzen noch bis nach 23 Uhr vor der Tür im Nachtwind und genießen diesen Abend besonders, da wir so viel Schönes heute erleben durften.