28. Juli
Bevor wir vom städtischen „Rummelplatz“ die Fliege machen, kommt einer der Schausteller noch schnell zu uns herüber und überreicht uns einen Minigorilla zum Anhängen an die Sonnenblende. Ein Beweis für gute Nachbarschaft. Mit Hahnenkrähen, das weit über den leeren Kirmesplatz schallt verabschieden wir uns.
Plötzlich sind wir in Frankreich. Ohne Übergang, einfach so. Der Fluss „la Meuse“, die Maas, begegnet uns noch ein paar Mal auf der Weiterreise nach Süden. Er fließt sehr träge dahin. Eine Fließbewegung ist beim besten Willen nicht zu erkennen. Nur die Passagierschiffe und die Lastkähne teilen das Wasser und ziehen ein Dreieck hinter sich her. Der Ort „Givet“ zeichnet sich dadurch aus, dass die meisten Häuser aus grauen Feld-oder Bruchsteinen erbaut sind. Die Häuser wirken kalt auf uns, obwohl unter den Fenstern genügend Blumenschmuck angebracht ist.
Wir haben es noch immer nicht geschafft, uns die vorgeschriebene rotweiß schraffierte Warntafel für Langsamfahrer zu besorgen. Das kann recht teuer werden, wenn uns die Polizei kontrollieren sollte. Am Ausgang des Städtchen „Fumay“ sehen wir eine „Total-Tankstelle“, wo der Diesel nur 1,43 Euro kostet. Nach dem Tankvorgang fragen wir bei der jungen Kassiererin nach, ob sie ein solches Schild vorrätig hat. Sie verweist uns mit einem Lächeln auf die kleine Werkstatt (Garage) nebenan. Der Monteur versteht sofort und bietet sich an, mit seinem Renault zum nächsten Spar-Markt zu fahren, um das Gewünschte zu besorgen. Nach 15 Minuten kommt er bedauernd zurück und erklärt uns, er habe kein Schild mehr bekommen können. Die sehr sympathische Kassiererin setzt sich mal für einen Moment auf Barbaras Schleudersitz und meint dann in redebrechendem Deutsch, es wäre wohl ein wenig eng da vorne und die Frontscheibe wäre auch nur 30 Zentimeter von der Nasenspitze entfernt. Nun ja, wenn es denn so gesehen wird.Barbara kaufe ich einen kleinen Stoffelefanten, der zu ihrer gesammelten Menagerie gut passt. Sie freut sich natürlich.
Hinter „Fumay“ wird’s wieder mal kriminell. 12 % Steigung und das über eine Entfernung von über 6 Kilometern. Unser Vagabund hat nicht mal in Norwegen so viel ziehen müssen und der vierte Gang wird bis zum Letzten ausgereizt. 10 km/h sind da schon mal drin und ein Geschwindigkeitsrausch bekommen nur die Anderen, die mit ihren schnellen PKWS im Affenzahn zu Tal rauschen. Das Kühlerwasser steigt auf 85 Grad und ich beschließe auf halber Höhe auf einem in den Felsen gehauenen, schmalen Parkstreifen den Motor für eine gute halbe Stunde abkühlen zu lassen. Das passt auch gerade zu einer kleinen Brotzeit. Es ist gegen Ein Uhr. Talwärts erreicht zwar das Kühlerwasser nur schlappe 70 Grad, dafür erwärmen sich aber die Auflaufbremsen des Hängers und auch das sogenannte Bremsband des Treckers ist weithin bis in die Kabine hinein auf der Zunge zu schmecken. Es riecht mitunter wie in einer Hufschmiede.
Über „Revin“ und „Renwez“ geht es noch ganz gut. Es sind fast keine Leute auf den Straßen in den Orten anzutreffen. Entweder sie sind auf den Feldern beschäftigt oder in den Urlaub gefahren. Und dann kommt’s! Ganz dicke! Die Bundesstraße „D 985“ ist spitzenmäßig ausgebaut, so dass Barbara meine geistigen Ergüsse, die ich ihr während der Fahrt zubrülle, zitterfrei und lesbar notieren kann. Aber dann! Ein Sperrschild und eine dicke rote Schranke versperrt und die Weiterfahrt. Hätte es nur vorher einen Hinweis auf einem Verkehrsschild gegeben. Aber man lässt uns ins Unglück fahren. Zehn Minuten stehen wir vor der Sperrung und beratschlagen, was nun zu tun sei. Umdrehen geht auf keinen Fall, da die Straße zu bucklig und für unsere 12 Meter doch zu schmal ist. Geradeaus ist gesperrt. Nur links geht ein Weg zu einem Ort.
Also, links einschlagen und vorsichtig mit dem Gaspedal spielen. Zwei Bahnübergänge müssen überquert werden und die stehen den polnischen in nichts nach. Nur im dritten Gang mit geschlossenen Augen kommt man unbeschadet darüber. Nur das Gesäß sollte man zuvor „ausklinken.“ Dann erreichen wir den Ort. „Rouvroy sur Andrey“ lesen wir auf dem weißen Ortseingangsschild. Im Dorf geht es dann, was wir aber schon von Weitem gesehen haben noch steiler bergan als jemals zuvor. Auch der dritte Schnellgang muss nach wenigen Metern passen.
Es dauert immer eine gewisse Zeit, bis ich den einen Gang ausgekuppelt und den nächst kleineren mit doppelt kuppeln und Zwischengas geben eingelegt habe. Da verliert man soviel Zeit, dass man praktisch schon steht beim Weiterfahren. Auch der dritte Gang gibt alles. Oben angekommen, führt kein weiteres Hinweisschild nach Irgendwohin. Wir stehen am Ortsausgang an einer Feldkreuzung und wissen nicht weiter. Endlich, nach endlosen Fluch-und Schweigeminuten erscheinen zwei Arbeiter in einem Citroen-Bus. Sie wollen sich an uns vorbeiquetschen, doch Barbara steht mitten auf der Fahrbahn und schwenkt wie wild rudernd ihre Arme. Sie legt ungefragt den beiden Frenchmans unsere Landkarte vor und zeigt auf unseren Zielort. Beide kratzen sich am Kopf, dann am Kinn und letztendlich am Hintern. Ja, da gäbe es eine Möglichkeit, über die Berge zum nächsten Ort zu kommen, wenn man viel Mut hat und den Horror nicht scheut. Mit vielen Gesten und Grimassen und schnell gesprochenem Französisch sind wir dann irgendwann Ortskundige. Merci, Monsieur ! Nun kommt ein enger, geteerter Feldweg, nur etwa schlappe 10% Steigung. Dem folgt ein Schotterweg, etwas weniger steil, aber schwieriger zu fahren, weil er tiefe Bodenwellen aufweist. Dann ist der landwirtschaftliche Feldweg nur noch erdgebunden und weist in der Mitte über eine Länge von circa 3 Kilometern eine Aufhäufung von Schiefersteinen auf, die man besser nicht mit einem Auto überfahren sollte. Dann noch die Seitenneigungen. Oje, da komme sogar ich ins Schwitzen. Das Oberhemd reiße ich mir vom Körper, das T-Shirt ziehe ich über den Hosenbund und meine Achselhöhlen suhlen sich in der körpereigenen Sauna. An manchen Ecken springt Barbara aus dem Trecker, läuft ein paar hundert Meter vorneweg und gibt mir Anweisungen, wie ich am besten über die nächsten Buckel hinweg fahren könnte. Die Zunge hängt uns beiden in den Kniekehlen, als wir endlich die etwa 5 Kilometer in 40 Minuten im Schritttempo geschafft haben und im nächsten Örtchen ankommen. Das liegt tief im grünen Tal. Danach wird die jetzt wieder geteerte Landstraße dritter Ordnung nicht etwa breiter, sondern noch schmaler.
Alle Autos, die uns entgegen kommen, müssen bis an die äußerste Grenze der Fahrbahn ausweichen. Das tun sie zwar notgedrungen und immer mit einem sehr grimmigen Gesicht. Ja, Franzosen können auch grimmig dreinblicken. Wir sind abgekämpft und durchgeschwitzt und so richtig reisemüde, als wir wieder einmal nach sehr steiler Abfahrt, Stunden später serpentinenmäßig runter in die Stadt „Signy l’ Abbaye“ kommen. Und wie es das Schicksal will, sehe ich im letzten Moment ein verwittertes Holzschild mit der eingebrannten Inschrift „Camping.“ Die Rettung! Nach einmaligem Nachfragen in einer Schreinerei finden wir den städtischen Stellplatz (ich nenne ihn so, weil ein Campingplatz wirklich anders auszusehen hat) am Rande der Stadt. Einige Camper haben sich in die vorgesehenen Parzellen gestellt, andere campieren auf dem Randstreifen des Fußballplatzes.
Wir zögern zuerst, stellen uns dann aber doch auch auf den heiligen Rasen, der sehr kurz geschoren ist in die Nähe der Toilettenanlage. Nun sind wir links außen oder auch im Abseits. Ist ja egal. Weiter hinten rauscht ein kleiner Wasserfall, es ist sonst sehr still hier draußen bis auf das stete, heimelige Rauschen der Toilettenspülung. Die sanitäre Anlage ist sauber. Wir bekommen Kontakt mit fast allen Holländern auf dem Stellplatz. Es gibt fast nur Holländer hier in der Champagne. Und die…sind alle sehr gesprächig und…einfach nett. Wir brutzeln auf unserem Elektrogrill leckere Stücke sehr fetten Bauchfleisches und essen dazu Krautsalat und Bratkartoffeln. Ein unvegetarisches Abendmahl. Das Fernsehprogramm bringt die Sendung „Frauentausch“ und wir belustigen uns über die beteiligten Personen. Es fängt gegen Mitternacht an zu tröpfeln und ich falle bis zum nächsten Morgen in einen nicht enden wollenden Tiefschlaf.
Ich träume von riesigen weißen Fleischrindern, die wie wild hinter dem Trecker her rennen und ihn in eine bodenlose Schlucht hinunterstürzen wollen. Der französische Bauer, der eine Polizeiuniform trägt fliegt mit einem knallgelben Helikopter über die Szene und versucht, uns mit einem Gewehr die Luft aus den Reifen zu schießen. Eine heiße Nacht, diese kühle Julinacht in „Signy l’ Abbaye! Ob es da noch eine Steigerung gibt?
Liebes Ehepaar Ochs,
nachdem Sie vor Wochen schon Grüße aus dem Solling (Allershausen) erhielten, will ich mich mit weiteren Sollinggrüßen aus Ahlbershausen anschließen. Seit Ihrer Abreise (war ne tolle Aktion vor Ihrer Haustür; vor allem die Schmalzbrote…lecker..)bin ich in Gedanken täglich bei Ihnen und mindestens 2 mal wöchentlich im Netz auf der Suche nach neuen Spuren von Ihnen. Sie verstehen es wirklich mit Ihren Abenteuern, die ganze Gefühlspalette eines Menschen zu aktivieren, der Ihre Berichte verfolgt. Ich könnte noch einen ganzen Roman schreiben, aber ich wünsche Ihnen einfach mal eine gute Weiterfahrt, viel Gesundheit und bleibende Neugierde.
Auf ein baldiges Wiedersehen mit Ihnen freut sich Elke Rothe und Mannschaft.