29. Juli
Gegen Acht ist die kleine städtische Rezeption geöffnet und wir zahlen die Übernachtung mit einem Zehneuroschein. Das ist angemessen. Unterwegs dann fällt uns auf, dass das gelbe Rundumblinklicht hinten am Heck des Bauwagens nicht mehr brennt und sich dreht. Ich bleibe unterwegs halten, schaue die Birne nach und die Verkabelung. Alles ist in Ordnung.
Nächster Gedanke: Wieder mal die Lichtmaschine, die der zweiten Batterie keinen Strom zuführt. Das hatten wir ja schon einmal in Helsinki und das Malheur konnte dann in Estland behoben werden. Unser Abenteuerurlaub verläuft nicht ohne Pannen. Aber muss das denn schon jetzt wieder sein, wo wir uns im besten Weinanbaugebiet Frankreichs befinden und wahrlich keinen Nerv haben für weitere Pannen? Die Weinberge, die wir an diesem Tag durchfahren, reichen bis an den Horizont. Nur suche ich vergebens die Champagnerflaschen an den Rebstöcken. Nur unreife, grüne Weintrauben hängen in Reih und Glied am Rebstamm.
Es ist ja auch noch keine Weinlese. Daher also. Dann suchen wir immer noch nach dem in Frankreich vorgeschriebenen Warnschild, doch wir bekommen immer nur Warndreiecke angeboten. So’n Schiet! Barbara hat sich aus dem französischen Wörterbuch etwas herausgeschrieben, was die Nachfrage nach einem solchen Schild erleichtern soll. Sie notiert in Blockschrift:“ Panneau-Tractor-trafic!“ „Schild-Traktor-Verkehr!“ Ob’s hilft? Und dann noch die ausgefallene Warnlampe. Nein! Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Wir queren die Stadt „Rethel“ und danach die etwas größere Provinzstadt „Juniville.“ In den Städten und Dörfern und auch außerhalb sehen wir immer mal wieder Hinweise auf ein nahes Weingut. Die Namen der regionalen Champagnersorten sind unaussprechlich für uns. Sie sind lang und mit vielen Wörtern und Silben und Betonungszeichen versehen. Ob das ein Franzose wirklich flüssig lesen kann, wenn er den edlen Saft in einem Restaurant bestellt? Wir mogeln uns mit viel List an der Großstadt „Reims“ vorbei, immer darauf bedacht, nicht auf einer für uns nicht befahrbaren Schnellstraße zu landen. Die Berge werden leider nicht flacher. Ich berechne schon im Tal den ungefähren Steigungsgrad und schalte dementsprechend schon rechtzeitig zurück. Unser tapferer, kleiner Zetor hat zwar genug Muskelkraft, aber ich will den Motor nicht total überfordern. Das doppelte Kuppeln bergauf, wenn er ziehen muss ist auch nicht immer einfach. Oft kracht es im Getriebe wie bei einem Dentisten, wenn er einen Weisheitszahn mit der gekröpften Zange herauszieht. Ich kenne schönere Töne.
Wir fahren auf der „Rue de Champagne“ und haben mächtig Durst. 23 Grad. Wir durchfahren das Hügelland „Montagne de Reims“ und erfreuen uns an den kleinen Winzerdörfern, deren Häuser sich dicht um die Kirchen drängen. In der Champagne werden drei Traubensorten gepflanzt: die weiße elegante Sorte „Chardonnay,“ die rote kräftige „Pinot Noir“ und die ebenfallls rote fruchtige Sorte „Pinot Meunier.“ Ich mache mir aus keiner Sorte was und besorge mir fast immer den billigsten Landwein Marke Pennerglück. Auch eine Umleitung gibt es heute wieder für uns als spätes Dessert gegen 14 Uhr. Wir fluchen seit gestern nicht mehr und bemühen nur stumm unsere Navigationsgeräte. Wir sind auf dem Weg auf den städtischen Campingplatz in „Eperney“, einer größeren Stadt, die am Fluss „Marne“ liegt. Ich kenne diesen Strom, wenngleich auch nur vom Kreuzworträtseln. Da fällt mir etwas ein, was uns unser Großvater mütterlicherseits mal vor über fünfzig Jahren erzählt hat. Also: Kommt ein Mann an die Zirkuskasse und sagt: „Einmal Losche, bitte!“ „Aber mein Herr!“ entgegnet da die Kassiererin. Das heißt doch nicht Losche sondern Loge!“ „Verzeihung, mein wertes Fräulein!“ gibt da der Zirkusbesucher entschuldigend zurück. „Was für eine Blamasche!“
In „Pontfaverger“ essen wir am Straßenrand unsere Weißbrotstullen. Anderes Brot gibt es zur Zeit nicht. Aber es ist frisch und schmeckt. In „Moronvillers“, kurz vor „Eperney“ stillen wir auch den Durst des Zetors und im Nu befinden wir uns schon mitten in der Altstadt von „Eperney“ mit ihren hochstehenden, schräg eingesetzten Kanaldeckeln und den für größere Städte üblichen Schlaglöchern und straßenbaulichen Engpässen. Als Traktorist erfährt man Städte eben anders als ein normaler PKW-Fahrer. Vor uns liegt die ruhig dahin fließende Marne, deren Wasser smaragdgrün schimmert. Eine seltene Farbe für einen Fluss. Als wir über sieben Fastflüchen und nach ungezählten echten Flüchen und Verwünschungen der uns nachfolgenden Verkehrsteilnehmer endlich vor der Schranke des Platzes stehen, ist uns nach einer kalten Dusche zumute. Die drei sehr lebendigen jungen Damen an der Anmeldung stoßen ein „Oh“ nach dem anderen aus, als sie uns gewahr werden.
Eine der Hübschen läuft mit uns zu drei verschiedenen Stellflächen, die in Frage kommen könnten. Nur einer, ein Eckplatz, passt wie angegossen. Auch hier gibt es nur etwa 10% Franzosen und 90% Fremdländer, wie die junge Dame betont. Sie spricht englisch, was die Konversation erheblich erleichtert. Nach dem Einrichten gehen wir noch ein Stück am Fluss spazieren, schauen den Enten in den Hintern, wenn sie tief nach Wasserflöhen hinabtauchen und sitzen eine Weile am Kajütboothafen auf einer Mauer.
Die Sonne ist auch noch einmal aus ihrem Wolkenversteck herausgekommen und jeder Sonnenstrahl ist wie ein wonniges Streicheln auf unserer unverwöhnten Treckerhaut. Nach zwei Stunden erscheinen zwei von dem Trio der flotten Anmeldegrazien und bringen einen Fotoapparat mit, den sie fleißig bedienen.
Hier stand auf diesem Platz noch nie ein Traktor und ein Bauwagen, hören wir. Ein Belgier von nebenan findet es schier unglaublich, dass wir den weiten Weg von Kassel bis hierher geschafft haben. Als ich ihm dann unsere Wandkarte zeige und ihm sage, dass wir schon über 9000 km getuckert sind, will er geradezu enthusiastisch ausrasten und ruft seine Ehefrau und andere Camper zum gemeinsamen Staunen zusammen. Wir werden wieder Prospekte los. Das zuvor in der Stadt in einem „Netto-Markt“ eingekaufte Baguette schmeckt mit der in Holland eingekauften Krabbencreme und der heißen „Hönsbuljong“ (Hühnerbrühe) aus Finnland vorzüglich. Zum Nachtisch verschlingen wir zwei belgische Nektarinen und trinken eine Flasche spanischen Weißwein. Unser Magen ist schon seit fast vier Monaten auf die Internationalität der Speisen- und Getränkeeinfuhr eingerichtet. Es tut ihm (fast) nichts mehr. Oft denke ich noch an den schwedischen Blutpudding, den wir uns im härjedalischen „Sveg“ eingedreht hatten. Den kann man aber nur mit einem gehörigen Schluck Aquavit hinunter bekommen, der in Frankreich nicht gerade üblich ist. Gut so! Wir werden die französische Küche noch kennenlernen. Muscheln und Weinbergschnecken sieht man überall in den Kühlregalen. Ich werde beide „Schleimer“ demnächst mal testen. Aber dann mit einem guten Schluck Cognac!