30. Juli
Es ist Sonnabend, die Sonne scheint und es ist windstill. So lieben wir es. Nur die entladene Batterie hinten im Bauwagenheck macht uns Sorgen. Es ist nicht weiter tragisch, wenn wir unseren Wasserhahn über der Spüle nicht betätigen können. Aber wie wir wissen, dürfen wir uns auf Frankreichs Straßen nur mit eingeschaltetem gelben Blinklicht bewegen, da wir Langsamfahrer sind. Schon in „Epernay“, beim Ausruckeln aus der Stadt des Champagners halten wir Ausschau nach einer geöffneten Elektrowerkstatt, wo die Batterie geladen werden und die Kontaktunterbrechung an der Lichtmaschine repariert werden könnte. Doch alle Tore sind geschlossen. Nur der laufende Wochenendverkehr erfordert eine noch höhere Aufmerksamkeit. Das Gute an diesem Tag aber ist, dass wir uns vorgenommen haben, bis zum nächsten Halt nicht mehr als 55 km zu fahren. Wie wir in Erfahrung gebracht haben, soll es im Städtchen „Sezanne“ einen schmucken Campingplatz geben. Viele Landwirte sind auf ihren Feldern mit riesigen Erntemaschinen entweder mit Heumachen oder mit dem Abernten von Mais beschäftigt.
Fast ohne Ausnahme werden wir von der Landbevölkerung lebhaft im Vorbeifahren gegrüßt. Sie verrenken sich geradezu die braungebrannten Hälse nach uns. Die Landstraße, die uns so schnell voran bringt ist die D 951. Sie ist perfekt ausgebaut und wird uns auch am kommenden Montag noch Radunterlage sein. Ein größeres Dorf, “Montmort-Lucy“ hat außer halb verfallenen Steinhäusern mit abgebröckelten Fassaden und einer schmucklosen Feldsteinkirche nicht viel zu bieten. Immer wieder kommen uns alte Döschewos, Citröen 2CV, die „Ente“ entgegen. Einige sind vor 1970 gebaut worden, wie ich an dem bis zur hinteren Stoßstange hinabreichenden Stoffrollverdeck unschwer erkennen kann. Das lässt mein Herz höher schlagen, wollten wir doch ursprünglich mit so einem Vehikel durch Europa fahren. Warum es anders gekommen ist, kann man in dem Kapitel „Die Idee“ nachlesen. Nach zwei Stunden Fahrt erblicken wir am Ortseingang des Nestes „Baye“ auf der rechten Seite eine Werkstatt, wo die Tore geöffnet sind. Gegenüber eine „Total-Tankstelle.“ Wir halten und Barbara bewegt sich in Richtung der Reparaturhalle. Da kommt über den Zebrastreifen von der Tankstelle herüber ein älterer Mann angelaufen. Er gibt sich als Inhaber der Werkstatt für die Marken Renault, Peugeot und Citroen aus und fragt nach unseren Wünschen.
Es ist unheimlich schwer, ihm zu erklären, dass eigentlich die Anschlüsse an der Lichtmaschine nachgesehen werden müssten. Er spricht nur Französisch und wir tun uns echt schwer mit unseren Erklärungen. „Grande Malheur!“ Das kann ich gerade noch sagen. Und „Route de L’ Amour!“ Damit kann ich zwar technisch nicht punkten und er lächelt bei meinem letzten Einwurf , als er auf meine friedhofsblonden Haare schaut. So kommen wir aber auch nicht weiter. Schnell haben wir die Treppe herabgelassen, die Tür geöffnet und die Batterie ausgebaut. In der Werkstatt wird geprüft. 1 Ampere Leistung bringt sie noch. Das hätte ich auch ohne Stromprüfung gewusst. Nun will er mir, jedenfalls verstehe ich ihn so, eine neue Batterie verkaufen. Das wäre ein gutes Geschäft für ihn, da unsere Hochleistungsbatterie erst zwei Jahre alt und nur entladen ist. Ich bedeute ihm, er möchte doch lieber die Batterie aufladen. Das tut er auch. Er zeigt mit einer ungenauen Handbewegung auf seine Armbanduhr und macht mit der rechten Hand kleine, kreisende Bewegungen. Ich entnehme aus dieser nonverbalen Kommunikation, dass es zwei Stunden dauern wird, bis wir wieder starten können. Es ist halb Elf. Um Zwölf macht der gute Mann das Zeichen für „Essen.“ Und verschwindet bis nach Ein Uhr in einem Hinterraum der Tankstelle. Vorher hat er noch schnell alle Tore geschlossen, damit wir ja nichts hineintragen können, was nicht ihm gehört. Wir werden unruhig. Es geht auf die dritte Stunde zu und ich esse aus lauter Verzweiflung und auch aus profaneren Gründen eine ganze Tafel Schokolade. Barbara hat es sich auf dem Fahrersitz gemütlich gemacht und liest einen Schmöker. Dann gehe ich um halb Zwei zur Tanke rüber und frage:“ Fini Batterie?“ „Non, non!“ gibt er mir zur Antwort und lässt seinen rechten Zeigefinger noch eine weitere Runde auf seiner Armbanduhr drehen.
Also um halb Drei ist die Gute endlich vollgeladen. Die Stunden schleppen sich dahin. Mal sitze ich hinten am Treppenaufgang, mal schaue ich mir im Hinterhof die abgemeldeten, rostigen R 5 oder auch die noch älteren „Renault Dauphin Gordini“ an, die aus den 60ern stammen. Die Uhr rückt vor auf 10 nach halb Drei. Schon über 4 Stunden stehen wir nun hier am Dorfeingang herum und wollen endlich weiterfahren. Wir hatten uns so sehr darauf gefreut, einmal schon zur Mittagszeit am Ziel zu sein und bis Montagfrüh ausruhen zu können. Doch ich habe mich verrechnet. Als ich beim Werkstattmann ungeduldig auf meine Uhr zeige, schüttelt er ebenso ungeduldig den Kopf und malt mir noch eine weitere Stunde in die Luft. Unmissverständlich gebe ich ihm aber dann zu verstehen, dass das nicht in unserem Sinne sei und wir auch mit einer nur zur Hälfte geladenen Batterie weiterfahren wollen. Er lenkt ein und an der Kapazitätsanzeige kann ich ablesen, dass der Akku voll geladen ist. Na also! Dann fragt Barbara nach dem Preis für den wertvollen französischen Atomstrom, den wir in der Autowerkstatt zur Verfügung gestellt bekommen haben. Zehn Euro reicht sie ihm rüber. Er aber malt auf die Treckerhaube eine stolze Zwanzig. Olala, Monsieur!“ Das ist happig. Zähneknirschend wechselt der Schein den Besitzer und wir dampfen mit Vollgas davon.
Fünfzig Minuten später lassen wir uns durch die sehr gute Beschilderung zu unserem Campingplatz durch „Sezanne“ leiten. Noch einmal geht es im Vierten steil bergauf. Dann liegt endlich das Camperareal vor uns auf dem Hochplateau. Die alte, sehenswerte Stadt, die nur 90 km von Paris entfernt ist, liegt tief unter uns.
Wir melden uns an. Das Gelände macht einen ausgesprochen gepflegten Eindruck und ist terrassiert. Das macht es uns nicht leicht, ein Plätzchen zu finden, wo wir einigermaßen gerade stehen. Nach langem Hin und Her stellen wir uns mit der Treckerschnauze bergab unter eine Pappel. Quer wären wir in Schräglage gewesen. So stehen wir leicht bergab mit etwa 3% Gefälle. Hoffentlich rolle ich in den beiden nächsten Nächten nicht fensterwärts aus dem Bett und Barbara hinterher. Die Übernachtung kostet nur 11 Euro mit allem. Auch der Stromanschluss und die Dusche ist schon mit einberechnet. Wir hatten unterwegs keine Gelegenheit, für das Wochenende einkaufen gehen zu können. Einen Kilometer Fußmarsch wären es nur bis zur Innenstadt, sagt uns die Frau an der Anmeldung. Wir gehen los. Die Sonne brennt. Nach 30 Minuten gelangen wir über viele schöne Seitengässchen zur Innenstadt. Wir sind weit über 2 km gelaufen und meine Kondition ist heute nicht gerade die Beste. Schmerzhaft macht sich bei jedem Schritt bergab auf dem Kopfsteinpflaster die in meinem Körper eingebaute Kunststoffschiene durch heftiges Ziehen bemerkbar. Endlich, nach weiteren gefühlten Kilometern ein Laden mit Lebensmitteln. Wir kaufen das Nötigste ein und lassen uns von der Kassiererin ein Taxi rufen. Das erscheint auch schon nach 10 Minuten und nach 5 Minuten sind wir für nur 6 Euro wieder auf unserem Campingplatz angelangt. Puh! Nun muss ich mich erst einmal auf den Liegestuhl legen und den Körper sich beruhigen lassen. Unterhalb des Urlauberareals, zum Gelände gehörend befindet sich ein größeres Freibad, was für Übernachtungsgäste freien Eintritt verspricht. Morgen soll es über 25 Grad warm werden und wir nehmen uns vor, schwimmen zu gehen. Der Platz ist relativ belebt. Die meisten Urlauber kommen aus Holland oder Belgien. Wir sind die einzigen Deutschen. Barbara tischt „Grüne Soße“ auf und wir schwelgen mal wieder. Ein Fläschchen französischer Rotwein rundet das Abendmahl ab. Fernsehempfang gibt es nicht. Egal wie ich die Schüssel drehe oder den Neigungswinkel verstelle, es kommt nichts rein. Ich setze mich an den Laptop und schreibe unsere heutigen Erlebnisse auf. Morgen will Barbara Wäsche waschen und Bügeln. Morgen ist Sonntag.