NIEDERLANDE

23. Juli

Um Neun erscheint der Reporter von Radio „WMW“ mit der Tochter und dem Sohn des Hauses. Wir werden zu unserer Reise eingehend von dem Journalisten Dirk Terbahl befragt und ich muss auch den Trecker anlassen und alle Tierstimmen ertönen lassen, damit die Hörer am Sonntagmorgen, wenn die Sendung läuft, erschreckt aus allen Betten fallen. Ich bin in meinem Element! Dann bekommen wir noch ein paar Ferienhäuser von innen gezeigt und erklärt. Nobel, nobel! Der Begriff „geschmackvoll“ ist schlicht untertrieben, aber uns fehlen einfach die Worte über so viel Gemütlichkeit und Flair, die diese Einrichtungen und das Drumherum ausstrahlen. Wir bekommen ganz unerwartet vor Abfahrt noch zwei Kappen mit dem Logo des Platzes geschenkt. Mit einem herzlichen Danke verabschieden wir uns von allen und sind um zehn Uhr startklar.

Go West ! Weit, weit hinten am Horizont hinter dem Rhein sollen die Niederlande liegen. Schneefrei und platt wie eine Pfannkuchen. Und da wollen wir heute hin. Das Navi sagt uns, es wären nur 108 km bis zu einem Stellplatz in Noord-Brabant bei einem Bauernhof. Noch sind wir guten Mutes und hoffen in längstens 6 Stunden mit zwei eingerechneten Kurzpausen an Ort und Stelle zu sein. Es ist sehr windig, aber trocken und gelegentlich lugt auch die Sonne hervor und schickt uns ihre wärmenden Strahlen durch die Glasscheiben in die Treckerkabine. Wir tragen wieder unsere dicken Strickjacken. Besser ist besser.

Die Gegend hier oben in West-Westfalen scheint überwiegend von Katholiken bevölkert zu sein. Wir werden unwillkürlich an Polen erinnert, da wir hier in jedem Ort den Gekreuzigten in imposanter Größe und blumengesäumt aufgestellt sehen. In Polen dagegen war es die Jungfrau Maria, die uns tagelang begleitet hat. An der norddeutschen See soll es der Klabautermann sein, haben wir mal gehört. Ob der auch den Reisenden Schutz bietet?

Es geht in Richtung „Heiden“ und „Rhede.“ Schon zweimal hat uns das Navi auf die B 67 führen wollen und wir mussten wieder abdrehen, da dort für Traktoren absolutes Fahrverbot besteht. Das hätten wir vorher wissen müssen. So sind wir mindestens 20 km Umweg gezuckert, um uns dann mühselig auf der Landkarte von Dorf zu Dorf zu hangeln. Bei „Biemenhorst“ versucht das Navi, uns noch mal auf die Schnellstraße zu leiten, doch rechtzeitig merken wir den bevorstehenden Reinfall. Doch auch die Nebenwege, die wir nun fahren müssen, sehen im Schaubild aus wie auf einer Fieberkurve. Wir fahren west-nord-west-süd-west-nord-west. Bei „Dingdem“ bleiben wir ziemlich ratlos am Straßenrand stehen und sortieren uns erst einmal. Barbara ist stinksauer, weil ich trotz vorgerückter Stunde, es geht schon auf 17 Uhr zu, nach Holland weiterfahren will, so wie wir es am Morgen besprochen hatten. In „Kalkar“, am Rhein ist erst mal Schluss mit lustig und ich gehe ganz eilig und mit hochstehenden Ohren in einem Supermarkt nach über sieben Stunden „Abstinenz“ einem dringenden Bedürfnis nach. Es ist fast nicht glaubhaft, aber heute fanden wir tatsächlich keinen einzigen Halte- oder Parkplatz. Nun finden wir auch die Ruhe, ein sehr verspätetes Mittagessen, eher ein verfrühtes Abendbrot in Form eines belegten Brötchens einzudrehen, das wir uns schon morgens eingepackt hatten. Irgendwo überqueren wir den guten, alten Vater Rhein über eine ellenlange Brücke, die kein Ende nehmen will. Dann geht es über „Goch“ nach „Asperden“ und wenig später vor einem Ortseingang, gänzlich unbemerkt von uns, befinden wir uns in den Niederlanden. Die Maas lassen wir auch noch ein paar Minuten später tief unter uns und schauen immer verzweifelter auf unsere beiden Navigationsgeräte, die kurz davor sind, ihren Geist mangels Stromzuführung aufzugeben. Schon vor Wochen wollten wir immer mal wieder in eine Boschwerkstatt gehen, um den defekten Zigarettenanzünder reparieren zu lassen. Das rächt sich jetzt. „Beers“, ein kleines Dorf in Holland, wo sich am Ortsrand an einem Binnensee der Stellplatz bei einem Bauernhof befinden soll (Kamperen bij de boer) ist nicht leicht zu finden. Wir fragen bei einem Bauern nach, der uns in breitestem Holländisch zu verstehen gibt, dass Beers noch 15 km weiter im Süden liegt. Doch da führen fast nur Schnellstraßen hin, die mit dem Traktor nicht befahren werden dürfen.

Es geht auf 19 Uhr zu und es beginnt zu nieseln. Die Straßen in unserem nördlichen Nachbarland sind optimal ausgebaut und sehr eben. Für Fahrradfahrer! Die Fahrbahn für den übrigen Verkehr ist ein eher schmales, geteertes, graues Band in der Mitte von zwei breiten, rot eingefärbten Fahrbahnen für Radfahrer, die auch zu Viert bequem aneinander vorbei fahren können, ohne sich zu berühren. Die meisten PKWS nutzen auch vorübergehend die roten Drahteselhighways bei Gegenverkehr um auszuweichen. Wir müssen oft ausweichen bei unserer Breite von gut zwei Meter Fünfunddreißig. Alle paar Hundert Meter wird der Verkehr für die motorisierten Fahrer aufs Brutalste gestoppt. Wir „Drempeln“ über die ungezählten Fahrbahnerhöhungen, die es zum Einen vor jeder Ortschaft, in jeder Ortschaft oder hinter jeder Ortschaft gibt. Auch vor jeder Seitenstraße, Feldweg oder Trampelpfad sind diese Drempels auf die Fahrbahn aufgebracht. Ich habe nun das geteilte Vergnügen, immer vom 5. in den 3.Gang zurückzuschalten und mit maximal 6 km/h vorsichtig diese Geschwindigkeitsstopper zu überwinden. Eine lange Schlange und unkontrollierte Überhol- und Bremsmanöver der hinter uns Fahrenden sind uns sicher. Aber die Holländer nehmen’s scheinbar gleichgültig hin. Einen Vogel oder andere Liebkosungsbezeichnungen bekommen wir nicht gezeigt. Das Land ist ja nun auch hoch zivilisiert und auf regen Verkehr in jeder Beziehung eingestellt. In Holland sollen mehr als 480 Menschen auf einem Quadratkilometer leben. In Lappland 1,2. Wieviel „Drempels“ kommen wohl auf einen Straßenkilometer im Durchschnitt? 8 oder 20? Mit einem tiefer gelegten Auto hat man hier sicher nicht lange Freude. Aber so werden sich auch einige Holländer mit sportlichen Autos die Unterbodenwäsche sparen und brettern stets „blank“ oder sogar „unten ohne.“ Unsere Bodenfreiheit von mindestens 60 Zentimetern kommt den Drempeln niemals zu nahe. Aber unseren Hänger trifft es mitunter sehr hart und er schüttelt sich unwillig und ächzt und knirscht an allen Ecken und Enden.

Kurz nach 19 Uhr stehen wir im betonierten Innenhof des Gehöftes, nur 100 Meter von einem Binnenmeer entfernt, wo große Lastkähne Sand und Kies aus dem Boden schürfen und über einen Querkanal, der zur Maas führt, die Ladung im Norden des Landes wieder absetzen. Wenn der starke Regen nicht wäre, könnte es hier sogar recht schön sein mit dem Blick auf den kleinen Hafen. Wir befinden uns in Noord-Brabant an der Landesgrenze zu Limburg. Die sanitäre Anlage schräg gegenüber ist spartanisch, jedoch ausreichend und für zwei Nächte geht es mal. Die Übernachtung kostet auch nur 6 Euro und vor der Dusche ist eine Sparbüchse aufgestellt, wo man ein freiwilliges Scherflein hinterlassen kann. Der Platzbesitzer zeigt sich nicht, aber ein Beauftragter nimmt unser Geld entgegen. Barbara bereitet ein grandioses Abendessen vor: Pellkartoffeln mit „Grüner Soße!“ Morgen, gleich nach dem Aufstehen wollen wir unsere frühere Reiseleitung, mit der wir 1999 in Tunesien in der Oase Touzeur einen spannenden Kurzurlaub verbrachten, anrufen. Maria Saris, die über der Hälfte des Jahres in Tunesien lebt und Reisegruppen durch das Land führt, hat uns im Laufe der Jahre schon zweimal in Hofgeismar-Carlsdorf, unserem Wohnort besucht.

Sie ist eine sehr sympathische, quirlige, umtriebige, sensible und…gut aussehende Holländerin, die mehrere Sprachen spricht. Tunesisch beherrscht sie perfekt und Deutsch natürlich auch. Sogar mit Zungenschlag. Wegen ihr sind wir auf diesen Wegen nach Holland eingefahren, um unser Versprechen einzulösen, sie wiederzusehen. Eigentlich sollten wir den Campingplatz in der Nähe der Stadt, in der sie wohnt, „Oss“ aufsuchen. Wie wir aber im ADAC-Campingführer nachlasen, dürfen dort Caravans mit zwei Achsen nicht campieren. Jammerschade, aber so sind wir wenigstens in ihrer Nähe und hoffen, dass sie eine Möglichkeit findet, uns am Sonntag besuchen zu können. Wir freuen uns sehr auf ihren Besuch, haben wir doch seinerzeit durch sie Urlaubserlebnisse in der Wüste gehabt, die unvergessen bleiben. Auch stehen wir seit dieser Zeit unregelmäßig im Emailkontakt und ich weiß, dass sie unsere Reise jeden Tag mit Spannung verfolgt. Fernsehempfang ist leider hier nicht möglich, da wir direkt unter einem hohen Walnussbaum stehen. Macht nichts, wir hören auch gerne mal schöne Musik übers Radio. Ich trinke vor dem Schlafengehen noch eine letzte Büchse eines guten polnischen Bieres, „Lech“ heißt die Marke, und gähne ununterbrochen. Da wir heute eine unerwartet lange und beschwerliche Reise hinter uns gebracht haben, gehen wir schon um 22 Uhr zu Bett und hören noch eine ganze Weile dem Herunterprasseln der unreifen Walnüsse auf das Wagendach und den Sturmgeräuschen zu. Alles trieft draußen vor Nässe und unser Heizlüfter kommt nach langen Wochen wieder einmal zum Einsatz. Auch am morgigen Sonntag soll es so weiterregnen. Erst am Montag ist Besserung in Sicht. Da wollen wir Belgien unsicher machen. Doch erst mal ausschlafen.

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