13. Mai
Wir fahren und fahren. Da kommt endlich die norwegische Grenze. Die Landschaft wirkt sehr eintönig. Bäume im eigentlichen Sinne gibt es nicht mehr. Lediglich etwa zwei Meter hohe, vereinzelt stehende verkrüppelte Birken sind gehäuft anzutreffen. Dazwischen Felsen, Wasserlöcher, Sumpf , Nichts. Die Augen werden mit der Zeit müde. Kommt mal ein Hinweisschild alle 20-30 Kilometer gibt es regen Gesprächsstoff, wie man den Hinweis, der oft nur in samischer Sprache aufgemalt ist, deuten soll.
Auch jeder Vogel, und es gibt hier oben fast keine Lebwesen himmelwärts bringt eine kleine Abwechslung. Ich hocke auf meinem Fahrersitz mal auf der linken, mal auf der rechten Kante und lasse die Seele und die Beine baumeln, so gut es geht. Für was gibt es einen Handgashebel, den man manuell einstellen kann.
In Kautokeino versuchen wir bei einer Bank das zweite Mal in Skandinavien einen Travellerscheck einzulösen. Das klappt diesmal auf Anhieb. Der Bankmensch, vom Ausssehen her ein Same erklärt aber, das ginge nur noch bis Mitte September, da solche Transaktionen wegen des geringen Touristenaufkommens hier oben zu selten vorkämen. September? Da wollen wir aber auf dem Rückweg von Gibraltar sein. Tusend takk pa information!“
Junge und alte Menschen begegnen uns in einheimischer Tracht, die uns sehr bunt vorkommt. Auch die Männer haben so eine Art Rockfragment um die Hüften geschwungen. Die Frauen tragen wallende Fellröcke und ein bunt gesticktes Wams. Im Supermarkt nebenan, wo wir einige Lebensmittel einkaufen, bekommen wir einen Schlag. Das halbe Pfund Butter kostet fast 5 Euro und eine Büchse Bier 3,60 Euro. Ich sehe an der Kasse den Hinweis: „Rökning orsakar dödlig lungcancer!“ Die Zigaretten kosten pro 20 Stück über 11 Euro, die Literflasche Cola knapp 3 Euro. Nur der Krabbensalat ist portemonnaieverträglich. Diesel kostet „nur“ 1,82 Euro. Nein, nicht die ganze Gallone, sondern nur ein Literchen. Schnell wieder raus aus dem „Billigladen!“ Norwegen ist ja auch das teuerste Land Europas, wie ich nachgelesen habe. Sie haben hier nur 3% Arbeitslosigkeit und von 10 Frauen gehen 9 arbeiten. Hortplätze sind Usus. Sogar die Schweden, die ihre hohen Preise aus dem eigenen Land gewöhnt sind, müssen in Norwegen bis zu 40% mehr ausgeben. Und wir ??
Hinter der Lappenstadt wird’s wieder eintönig. Die Tundra setzt sich unerbittlich fort. Wir rechnen mit dem Taschenrechner während der Fahrt die Preise um. Norwegen ist ein sehr teures Pflaster. Wir sind fast 140 Kilometer auf der schlecht asphaltierten und querrinnenträchtigen Straße Nummer 92 gefahren und halten seit sechzehn Uhr Ausschau nach einem Campingplatz. Im ADAC-Führer ist keiner angegeben und auch in den unterwegs mitgenommenen regionalen Touristenführern ist keiner verzeichnet. Das sieht übel aus. Der einzige Platz, der auch ganzjährig geöffnet hat, ist noch 70 Kilometer weit entfernt. Und 210 Kilometer am Tag mit dem Trecker… elf Stunden. Nein! Wir sind beide ziemlich fertig und fluchen in einer Tour. Bergkuppe reiht sich an Bergkuppe, Die Straße fällt mal schräg nach links und dann wieder schräg nach rechts ab. Der Bauwagen schlingert, die Querrillen auf der Fahrbahn lassen mich ständig vom Gas runter gehen und auf die Bremse treten. Die Längsrillen im Teer mit den deutlichen Spuren anderer Fahrzeuge, die sicher tiefer gelegt waren sprechen auch eine eigene Sprache, doch das macht unserem Gespann weniger aus. Und dann die Mammutsteigungen erst. 12%, die die Zugmaschine gerade so mit 16 km/h im 4. Gang schnaufend schafft. Barbara quietscht wie ein verängstigtes Meerschweinchen, wenn es dann wieder steil bergab geht und schließt meist die Augen. Es sieht ja auch nicht gerade nach einer Sonntagsabfahrt aus. Eher nach einer Schussfahrt. Die Auflaufbremse läuft heiß, wie ich nach einem Stopp feststelle und wir legen eine Zwangspause ein.
In einer Sechshaus-Ansiedlung, die sogar einen ellenlangen samischen Namen hat, sehen wir vor einem Haus in der Abendsonne einen lebenden Menschen. Barbara fragt, wo es eine Möglichkeit gäbe über Nacht zu stehen. Tja, meint der priemende junge Same, unser Campingplatz hat seit Jahren geschlossen. Da müssen Sie nach Karasjok fahren, da gibt es einen, 70 Kilometer weiter. Danke, das wussten wir schon. Wir halten mitten im Niemandsland am Straßenrand an. Die Vegetation ist arktisch. In Norwegen leben auf einem Quadratkilometer 14 Menschen, in Deutschland sind es 231. 1oo Meter weiter rechts ins Nichts steht ein hellblau gestrichenes altes Häuschen. Davor ein Sandplatz mit tiefen Reifenspuren. Neben dem Haus ein 1000-Literfass mit Diesel, ein grüner finnischer Valtra-Traktor mit Schneeschieber, ein Stromgenerator und dahinter wieder…nichts und Krüppelbirken und viel, viel Sand und Hügel. Barbara fasst sich ein Herz und klingelt. Ein Mann mittleren Alters tritt in Erscheinung. Er trägt viel zu lange Trainingshosen, hat einen Stoppelbart und sehr fettige Haare. Nicht gerade einladend, die mittelgroße, ungepflegte, gebräunte Gestalt. Barbara kommt zurück und lächelt. Er sagt, wir können uns hier aufstellen!“ „Ich habe ihm 150 norwegische Kronen gleich 19 Euro angeboten und er hat zugestimmt!“ Na schön, geht es mir durch meinen durchgerüttelten Kopf. Besser als die Nacht über im Trecker zu hocken. Er geht wieder ins Haus zurück. Wir bauen auf. Wir haben genügend Wasser dabei und auch unsere empfängnisbereite Nottoilette. Nur Strom haben wir nicht. Es gibt kalte Küche. Wir sitzen auf der Eckbank mit um die Beine geschlungenen Wolldecken. Die dicken Winterjacken lassen wir vorläufig an. Wir ziehen sie nur aus, als wir uns für die Nacht winterfest einkleiden.
Der Abend wird kurz. Um Zehn liegen wir im Nest. Es sind draußen drei Grad, überall liegen hohe Schneehaufen und die Sonne nach 22 Uhr bringt auch keine Wärme mehr in die Fenster hinein. Entweder mein Atem vor der Tür hat von der Lunge her Farbe bekommen oder es ist wirklich so kalt heute, am Freitag, dem Dreizehnten. Wir befinden uns mitten in der Finnmark, in der endlosen fast baumlosen Steppe, der Tundra und wir fragen uns ernsthaft, warum nur um Gottes Willen haben sich gerade hier in dieser Einöde Menschen angesiedelt. Am späten Abend hören wir das Gekrächze der Rallen vom nahen See. Ein seltsamer Gesang! Darüber schlafen wir ein und fallen in traumreiche warme Erdteile.