18. Juni
Um Sechs ist die Nacht herum. Barbara drängt zur Eile. Es fängt an zu regnen, ich bin völlig unausgeschlafen und schlecht gelaunt. Mehr als schlecht gelaunt. Ich bin nicht mehr ansprechbar. Lediglich Melli, die ausgeschlafene Bikerin von nebenan kann mich mit etwas aufheitern mit ihren Sprüchen. Sie schreibt einen sehr netten Text in unser Gästebuch.
Kurz vor Abfahrt lässt sich noch einmal Marian Mieczkowski, der Platzinhaber blicken und trägt sich ebenfalls ins „Buch der Bücher“ ein. Unter 100fachem Winken verlassen wir diesen ansprechenden Platz und fahren etwa 40 Kilometer auf der Straße Nummer 16. Sie ist vierspurig ausgebaut, ohne Mängel und sehr angenehm zu fahren. Keine Schlaglöcher, keine Spurrillen.
Gegen 14 Uhr meldet sich unser Magen und wir kehren in einem Bistro an der Schnellstraße ein. Die Polen verstehen es, ihre Gäste zu verköstigen. Die Preise sind zu vernachlässigen.
Als wir wieder aufgestiegen sind und weiter fahren wollen, sehen wir plötzlich an der Auffahrt zur Schnellstraße ein Schild, wo ein Traktor abgebildet ist, wo ein rotes X darüber gemalt ist. Weiterfahrt verboten für uns. Ach du je! Wir beraten uns umständlich lange und kräftezehrend ausgiebig und kommen zu dem Schluss, dass es besser wäre jetzt abzubiegen, um auf der Nebenstrecke weiter zu fahren und Strafen zu entgehen.
Da haben wir aber schön in die Sch… gepackt. Die einzige Straße, die nebenstrecklich in Frage kommt, führt jedoch nur nach Norden, statt nach Westen. Ganze 17 Kilometer soll es in die falsche Richtung gehen? 17 Kilometer? Eine ganze Zetorstunde? Uns bleibt keine Wahl. Knurrend und murrend setze ich den Trecker in Gang.
Ich verschalte mich und würge zum ersten Mal den Motor ab. Unsere Stimmung ist im Keller. Die Nebenstrecke ist dazu angetan, alle meine Gesichtszüge orgiastisch entgleisen zu lassen. Es ist furchtbar. Die Straßen auch. Wir schweigen miteinander sehr intensiv. Es fallen in Gedanken Worte, die besser im aufgeblähten Hals aufgehoben sind.
Nach den geschlängelten 17 Kilometern stoppen wir in Seeburg gegenüber einer Polizeistation und wollen die Eingeborenen nach dem kürzesten Weg nach dem „gelobten“ Westen fragen. Jeder nennt uns einen anderen Weg. Wir haben die Auswahl und die Wahl der Qual. Oder umgekehrt.
Erst eine Verkäuferin in einem Lebensmittelladen weist uns einen Weg. Nur 10 km zeigt sie uns mit ihren beiden Händen. Nach …Osten!! Ich bemerke es nicht, da ich eh keinen guten Orientierungssinn besitze. Barbara schreit mich plötzlich an: „Merkst du denn nicht, dass wir wieder zurück fahren, du Dödel?“ Ich habe nichts bemerkt und halte auf offener Strecke konsterniert an. „Dreh’ um!“ schreit meine Allerliebste. „Sonst fährst du alleine weiter!“ Ein schwieriges Manöver bahnt sich an. Im ehelichen, wie im „verkehrlichen.“ Die Straße ist relativ eng und die Ränder sind nicht befahrbar.
Barbara muss die Kabel zum Hänger lösen, da sie sonst wegen des engen Radius beim Wenden abgerissen wären. Mir bleibt das Fluchen im Hals stecken. Zu aufmerksam muss ich sein, um den Hänger nicht zum Kippen zu bringen. Sie achtet auf etwaigen Verkehr und gibt mir Handzeichen, wann ich gefahrlos wenden kann. Mir wird auch heute das letzte abverlangt.
Zum Kotzen!
Es geht wieder zurück ins Städtchen, wo wir vor 10 Minuten nachgefragt haben. Von da ab wird Barbara wieder zu unserer speziellen Pfadfinderin. Sie sucht auf der Karte die kürzeste Strecke zu dem angepeilten Campingplatz aus, den wir schon vor gut einer Stunde erreichen wollten. Mir fehlt mittlerweile völlig der Sinn für die Landschaft, die wie ein Traum an mir vorüber zieht. Ich habe eine Stinklaune und Barbara ebenfalls. Wären wir nur auf der Schnellstraße geblieben. Ich hätte viel lieber Strafe gezahlt, als mich auf den unmöglichen Nebenstraßen zu bewegen. Hier komme ich mein Lebtag nie wieder hin. Und falls doch…nur mit einem gut gefederten Auto.
Wir fahren bedingt durch die fantastische Streckenführung etwa 40 km mehr als vorgesehen. Das ist hart. Sehr hart. Mein Hinterteil feiert Hochzeit. Noch ist nicht alles abgeheilt und der „böse Wolf“ treibt weiter sein Unwesen.
Nördlich von Allenstein, polnisch „Olsztyn“ bei dem Ort „Dywity“soll ein Campingplatz mitten im Wald an der „Alle“, einem großen Fluss liegen, der 80 Campern Platz bietet. Gegen 18 Uhr sind wir endlich fast da. Ein Waldweg, eher ein ausgefahrener Sandwaldweg mit Steigungen, die ich in den Masuren nicht für möglich gehalten hätte, macht dem Hänger die Standfestigkeit schwer. An einigen Stellen kneife ich auch für Sekunden die Augen zu und hoffe, dass wir unbeschadet weiterkommen. Das letzte Stück Weg zum Platz hat ungefähr 7% Gefälle und ich kneife nochmals die Augen zu. Barbara bleibt erwartungsgemäß stumm und hält sich krampfhaft am Türgriff fest.
Ich kann ihr gehauchtes Vaterunser nur erahnen. Auf der anschließenden Anhöhe, die rumpelnd im 3. Gang gerade so erreicht wird, ist die Sicht auf ein kleines Gebäude frei. „Recepcia“ lese ich. Unsere Odyssee hat ein Ende. So denkt ein Positiver. Wir gehören dieser Gruppe leider an. Eine junge Frau in Jeans fragt nach unseren Wünschen. Na, was soll es denn sein ? Übernachten wollen wir hier. Was sonst. Dann das schroffe Bedauern der „Empfangsdame:“ Place is overfull, sorry!“ Barbara inspiziert den Campingplatz. Nur 7 Camper stehen einsam auf weiter Flur. Zweidrittel der Wiesenfläche auf dem Plateau über dem Fluss, „Alle“ sind unbelegt. Wir stutzen und…sind nun ganz am Boden.
Es ist kurz vor 18 Uhr. Der nächste Campingplatz liegt mindestens 80 km entfernt. Barbara fragt nochmals nach, ob wir nicht auch vor dem Platz campieren dürfen. Die junge Frau zögert, ruft aber dann doch ihren Chef an. Keine Verbindung. Dann endlich, ich esse vor Verzweiflung ein trockenes Brötchen, das ich eigentlich schon um 15 Uhr mit Butter und Honig belegt verzehren wollte, ein Himmelszeig. Der Chef käme in etwa einer Stunde. Wir möchten bitte warten. Da kommen zwei Kinder angelaufen und eine alte Frau. Sie sprechen überraschend deutsch, als ich sie auf polnisch anspreche und geben sich als die Kinder und Mutter des Platzinhabers aus. Sie verstehen nun gar nicht, warum sich das Tor für uns nicht öffnet. Dann rauscht der Inhaber an.
Er ist sehr freundlich und zeigt uns umgehend einen Platz, den wir als sehr annehmbar empfinden. Sein Name ist Henryk Mondroch.
Wir teilen nun mit nur weiteren sieben Campern den Platz über dem Fluss. Die Sanitäranlage ist fast neu und verdient drei Sterne. Auch alles andere hier ist topp und wir sind sehr zufrieden mit allem.
Wenn nur die unmögliche Anfahrt durch den Wald nicht wäre. Man hat ja keine Vorstellung davon, wie es sich anfühlt, wenn man mit dem Gespann über solche Wege fährt. Ein Paar um die 65, das sich für unsere Reise interessiert, gibt sich als Inspektoren für Campingplätze in Polen aus. Gewissermaßen der polnische ADAC.
Er ist Holländer. Sie Polin. Beide leben südlich von Warschau. Sie können nur in Englisch miteinander kommunizieren und haben einen Boxer, der nur Spanisch versteht.
Kuriose Welt.
Der Holländer hat seit Wochen Probleme mit dem Fernsehempfang in seinem Caravan. Er bittet mich, ob er das Empfangsteil an unserer Schüssel mal austauschen könnte mit seinem Empfangsteil, um zu prüfen, ob seines kaputt ist. Er stellt fest, dass es daran war und bedankt sich mit einem Gästebucheintrag, den seine Frau in polnischer Sprache einträgt. Ich bin dermaßen müde, dass ich schon um Neun Uhr ins Bett gehe und erst am nächsten Tag um Neun wieder aufwachen werde,
Dieser Tag war kein Guter und wir schlafen Rücken an Rücken gegeneinander ein.