19. Juni
Es ist mal wieder Sonntag und wir bleiben einen Tag länger hier am Fluss. Ich schaffe es sogar, bis Acht zu schlafen. Der Himmel ist bewölkt und es weht ein kalter Wind. Nur 18 Grad sind es um Neun nach dem ausgiebigen Frühstück im Freien. Ich wechsele die Hosen aus von kurz nach lang und beschließe, endlich die letzten 3 Tage, die wir erlebt haben in unseren Blog hoch zu laden und Fotos zu den Berichten vom Baltikum und vom ersten Tag in Polen dazu zu setzen. Die freie Netzverbindung ist relativ gut. Doch immer wieder werde ich durch weitere Campinggäste, die viele Fragen an mich haben, vom Arbeiten abgehalten. Aber ich bin ja geduldig und verteile fleißig Prospekte von unserer Heimat. Unser Heimatort „Carlsdorf“ wird von jedem anders gelesen. Karstof oder Galdof oder auch Garlesorf. Ich muss immer schmunzeln dabei, wenn die Leute „Carlsdorf“ mühsam sich halblaut vorlesen.
Erst gegen 14 Uhr schaffe ich es, effektiv zu arbeiten. Aber das nur, weil ich mich in den Bauwagen verkrümelt und die Tür geschlossen habe. Dann gibt’s Mittagessen. Rührei mit sehr viel leckerem fettem und magerem Speck. Dann kommt ein Mann so um die 55 mit einem imposanten, aber gepflegten Vollbart langsam vom Flussufer auf mich zu, als ich gerade einen kleinen Verdauungsspaziergang um das Platzgelände mache. Er stellt sich als „Kajake“ vor und spricht ein gutes, breites Deutsch. Nun darf man keinesfalls annehmen, dass ein „Kajake“ ein besonderer Volksstamm aus Njetstanistan ist. Nein! Er erzählt mir, dass er Kajakfahrer aus Leidenschaft ist und aus „Müllrose“ im schönen Brandenburger Land stammt. Sein Name ist Thomas Kahlisch. Er betreibt das Fahren auf dem Wasser teilweise kommerziell, leitet Gruppen bis zu 12 Personen wochenlang zu Wasser und ist gerade dabei, weitere Flüsse im Alleingang abzufahren, um neue Touren auszuarbeiten. Ihm liegen ausnahmslos die Flüsse im Osten Europas. Er unternimmt professionelle Flusswanderungen mit Kleingruppen in Lettland, Estland, Litauen, Polen, Russland, Ukraine und in Ostdeutschland und ist seit Jahren ein echter Profi, bei dem man d e n Kajakurlaub findet, den man sich schon immer erträumt hat. So schont man die Umwelt, sagt er und sein ansteckendes Grinsen und seine ruhige Sprechweise kommen sehr sympathisch rüber. Ein interessanter Mensch, denke ich und wir kommen in ein gutes, längeres Gespräch vor dem Bauwagen. Er hat nebenan, 20 Meter weiter seit einer Woche sein Wohnmobil stehen und ist gerade der breiten, nassen „Alle“ entstiegen.
Viele Wege fährt er mit öffentlichen Verkehrsmitteln, voll bepackt mit seinen tausend Überlebensutensilien und er zeigt mir bereitwillig seinen selbstgebauten Ziehwagen auf Gummireifen, wo er alles darin verstaut hat. Die Griffe sind seine Paddel und er berichtet, er habe noch in keinem Land Schwierigkeiten gehabt, sein übergroßes Gepäck in einem Bus oder in der Bahn unterzukriegen, um zu seinem Auto zurück zu kommen. Die Menschen in Osteuropa wären ausnahmslos sehr hilfsbereit. Ich kann das nur bestätigen.
Am sehr späten Nachmittag trinken wir Drei einen Kaffee miteinander und es wird zu keiner Zeit langweilig, wenn Thomas, der ein sehr guter Erzähler ist und ein großes geschichtliches Wissen hat von seinen Abenteuern berichtet. Seine sonore, ruhige Stimme hat schon etwas Besonderes.
Seine Homepage: www.kanu-kahlisch.de
Zwischendurch gehe ich immer mal wieder ins Netz und schreibe bruchstückweise meine Berichte. Die „Welt“ will ja nun wissen, wo wir sind und was uns so alles widerfährt auf dieser langen, ungewöhnlichen Reise.
Mein Bruder Werner aus Bremen hat inzwischen alle Rundfunkanstalten und Fernsehsender in Deutschland per Mail mobil gemacht und er schreibt, einige Sender warten nur darauf, dass wir endlich wieder im Lande sind. Das kann ja heiter werden! Barbara hält sich vornehm mit ihrer Meinung zurück. Ihrem Gesichtsausdruck entnehme ich, dass das wohl eher „mein Ding“ sei und wir reden nicht mehr darüber. „Mach du mal!“ ist ihre einzige Aussage. Ich aber freue mich über dieses Interesse der Medien. Unglaublich, welche Lawine da losgetreten wurde.
Unsere ganze Reise ist ein sogenannter Selbstläufer geworden, den wir nicht mehr stoppen können. Warum auch. Knapp 80000 Besucher waren seit März auf unserer Homepage. Unzählige Verlinkungen zu uns gibt es aus vielen Ländern. Wir bekommen inzwischen so viele „Fanpost“, dass ich mangels Netz-Anschluss kaum in der Lage bin, alles zeitnah zu beantworten. Es sind fast ausnahmslos Durchhalteparolen und gute Wünsche von Menschen, die mich nur aus dem Netz kennen.
Wir bekommen hier und da auch Einladungen von uns völlig Fremden. Diese Einladungen sind so nett geschrieben, dass ich sie ebenso nett beantworte, aber unseren Besuch offen lasse. Man weiß ja nie, was vor einem liegt. Der weitere Sonntag verläuft ruhig.
Barbara wäscht drei Trommeln Wäsche. Seit Helsinki kamen wir an keine Waschmaschine mehr heran und ich trage meine Unterwäsche schon seit Wochen. Wenn jemand da etwas falsches in meine Worte hinein interpretiert, ist er selber schuld daran. Die Wahrheit ist: ich trage meine Unterwäsche schon so lange ich lebe und gehen nie „ unten ohne“ aus dem Haus. Ist ja auch ganz normal, oder?
Zurück zu unserem Kajak-Thomas. Am Abend laden wir ihn zu einem Bierchen zu uns ein. Die Bierchen werden lang und der Abend ist viel zu kurz, um noch Weiteres von seiner Lebensgeschichte von ihm zu erfahren. Er erinnert uns in seiner ganzen Art an Barbaras Cousin, den lieben Ludwig aus Hofgeismar. Sie könnten Zwillingsbrüder sein. Von der Statur, vom Gesichtsausdruck und vom Reden her. Thomas und Barbara leeren zusammen noch eine kleine Flasche Likör und ich sehe zu, meine Berichte zu aktualisieren. Um 23 Uhr verabschieden wir uns mit dem Versprechen, am nächsten Morgen zusammen Kaffe zu trinken.
Ich habe nun Zeit und Ruhe, alles auf dem Laptop aufzuarbeiten, was mir in den letzten Tagen verwehrt wurde und sitze alleine in unserer guten Stube bis kurz nach 3 Uhr morgens. Mein rechter Handballen ist inzwischen durch das „Mausdrücken“ so rot wie mein geschundenes Hinterteil. Aber das wird schon wieder, denke ich und lege mich schlaftrunken nach der morgendlichen Abendtoilette zu Bett.
Barbara will schon um Sieben wieder aufstehen. Ob das so klappt? Das wäre schon in knapp vier Stunden. Mir graut vor dem grässlich grauen Morgengrauen…