25. Juni
Um Acht koppele ich unseren Zetor vom Bauwagen ab und Norbert fährt uns voran zu einer Traktorwerkstatt in einem nahen Dorf. Da steht ein Truck, Mopeds, Quads, Motorräder, Traktoren, Rasenmäher und alles, was Räder hat oder einmal hatte. Hier wird alles repariert. Nicht ausgetauscht, sondern eben repariert.
Die Polen verstehen sich eben darauf und man kann den Reparaturkünstlern unbedingt vertrauen. Gesunde, buntgefiederte Hühner, ein junger, ungestümer deutscher Schäferhund und eine graue Katze halten sich auf dem Hof auf. Der Juniorbesitzer der kleinen Reparaturwerkstatt, Jakub Guzdek war Europameister im Windsurfen und ist in ganz Polen so bekannt wie z.B. unser „Schumi.“ Überall hängen Plakate von ihm in seiner Geburtsstadt. An Litfaßsäulen und auf großen Plakatwänden. Das polnische Volk kann stolz auf so einen sympathischen Sportler sein. Seinen Namen werde ich noch erfahren. Er studiert nebenbei noch drei andere Fächer in zwei verschiedenen Universitäten. An den freien Wochenenden hilft er im Betrieb mit. Alle Achtung!
Er und seine beiden Brüder, die in der kleinen, aufstrebenden Firma mitarbeiten, haben schon seit gestern Vorarbeit geleistet und waren, ohne dass wir es bemerkt haben, auf unserem Stellplatz und haben sich die Reifengröße für die Vorderräder notiert und sich unser Schätzchen angesehen. Sie besehen sich den Zetor nun eingehender. Ihre Mienen werden so dunkel wie die schwarzen Wolken des aufkommenden Gewitters. Ich frage nach. Ich höre, die Zylinderkopfdichtung ist hin, Kühlwasser tritt aus und der Auspuffkrümmer ist gerissen. Damit kommen wir nicht weiter.
Aber da kenne ich die Werkstattmänner schlecht. Alles kein Problem, sagen sie fachmännisch. Am kommenden Montag werden sie Neuteile bestellen und spätestens am Mittwoch austauschen. Die vier Ölfilter sind schwer zu bekommen. So sollen sie nur gründlich gereinigt und ausgeblasen werden. Die neuen Reifen stehen schon im Werkstatteingang. Mensch, sehen die gut aus! Pflegereifen haben sie bestellt, die sich eher für die Straße eignen als für den Acker. Gut mitgedacht, Leute!
Wir fahren mit unserem „Chauffeur“ in die Stadt zurück. Mir ist ein wichtiges Medikament gestern ausgegangen und ich brauche Ersatz. Wir wollten ja schon längst in Deutschland sein, doch die vielen Reparaturtage in den letzten Wochen haben uns um etwa 12 Tage zurückgeworfen. Ich werde gut beraten in der „Apteka.“ Die Medikamente in Polen sind um etwa 60% billiger als bei uns.
Danach schauen wir uns zwei Firmen von Norbert an. Unendlich lange Montagehallen, wo etwa 1/10 der Einwohner von Czaplinek ihren Arbeitsplatz gefunden haben, durchwandern wir. Alles ist gut durchorganisiert und es sieht sehr ordentlich und aufgeräumt aus. Norbert lässt seinen überwiegend weiblichen Mitarbeitern sehr viel Spielraum. An den Pausenräumen und parkähnlichen Außenanlagen erkennt man einen fürsorglichen Chef, dem es sehr darauf ankommt, dass sich die Arbeiter genauso wohlfühlen wie zu Hause. Da kommt in ihm der ehemalige Sozialarbeiter zutage.
Wir fahren nach „Siemczyno“, das ehemalige „Heinrichstadt.“ Ein kleineres Dorf. In der Dorfmitte, von der Straße aus eher unscheinbar, ein langgestrecktes, hohes Backsteingebäude. Normal fährt der ahnungslose Tourist daran vorbei, denn nur ein kleines Plakat weist auf ein Hotel der Luxusklasse hin, das sich hinter der langen Fassade verbirgt. Wir biegen links ein und…kriegen den Mund nicht mehr zu. Ein von den räumlichen Ausmaßen gigantisches Areal, ich schätze 25000 qm mit einem modernen Hotelkomplex am Rand, einem verfallenen Schloss mit kleinem Teich gegenüber und unzähligen Nebengebäuden erwartet uns. Hier hat eine polnische Familie ganze Arbeit geleistet. Die Betonung liegt auf „Arbeit.“ Vor ein paar Jahren wurde der alte Gutshof aus dem 17. Jahrhundert von den Vorbesitzern aufgekauft und zu einem äußerst stilvollen 5-Sterne-Hotel umgebaut. Man stellt sich nicht vor, wie gediegen und architektonisch durchdacht aus diesem alten Gemäuer ein solch sehenswertes Hotel werden konnte. Alle alten baulichen Elemente sind völlig in den neuen Stil des Hauses eingebunden und man kann nur staunen über diese Integrationsarbeit.
Norbert stellt uns dem Juniorchef Adam vor. Der Onkel, Bogdan, tritt nicht in Erscheinung.Er führt uns bereitwillig und stolz durchs ganze große Hotel, durch die Lobbys, die Bars, die unterschiedlich gestalteten Gästezimmer, die Suiten, die Anbauten, die Nebenräume, die Tagungsräume, den Konzertsaal, die Hochzeitszimmer, die … Ich traue mich zu fragen, was denn so ein Doppelzimmer mit Frühstück hier kostet. 50 Euro gibt mir der junge Chef zu verstehen. In vergleichbaren Hotels in Westeuropa würde man für eine solch luxuröse Übernachtung weit über 180 Euro pro Nacht bezahlen. Ohne Frühstück. Wir bekommen einen Gratiskaffee, sitzen auf der schön gestalteten Terrasse und schauen auf das uralte Schloss vis a vis.
Norbert ist gut befreundet mit dem Senior und dem Junior. Dieser Gutshof hat einmal Deutschen gehört bis zum Krieg. Es fallen Namen wie die „von Bredow“ und andere. Der Palast wurde 1722 im Barockstil erbaut. Die Gesamtfläche des Schlosses beträgt fast 3000 qm. Zu Beginn gehörte der edle Prunkbau einer Familie von Goltz, danach einer Familie von Arnim bis zum Jahre 1945. Nach dem Krieg wurde der Gutshof nebenan landwirtschaftlich genutzt wie in einer LPG und kam sehr herunter und war irgendwann wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Dann ging es vor über 20 Jahren in Privatbesitz über. Norbert holt sich den vorsintflutlichen Schlüssel zu dem Schloss gegenüber und öffnet. Es erinnert vom Aufbau, vom Stil und von seiner Größe her sehr an unser Schloss „Wilhelmsthal“ bei Kassel-Calden. Nur dass hier alles sehr verfallen ist und man aufpassen muss, wohin man seinen Fuß setzt. Besonders die gut erhaltene, genial konstruierte Dachgebälkkonstruktion lässt wohl das Herz eines jeden Zimmermannes in die Höhe springen. Unser Freund Erwin A. aus Hofgeismar hätte seine Freude daran. Er war einmal Zimmermann.
Dieses Schloss soll demnächst auch Hotel werden und es müssen einige Millionen hineingesteckt werden, um es so bewohnbar zu machen wie den alten Gutshof. Zwischendurch haben einige wenige Räume als Kinderhort gedient und man kann an den aufgemalten, abgeblätterten, bunten Kinderzeichnungen an den Wänden erkennen, dass einmal sehr kleine Kinder einen Teil ihres Lebens hier im Schloss bei der „guten Tante“ verbracht haben. Ich fühle mich wie in einer Zeitmaschine um 100 Jahre zurück versetzt.
Alles läuft an mir wie in einem Traum vorüber. Wir durchwandern einen Park mit merkwürdig gebogenen und verwachsenen uralte Hainbuchen. Hier hat der Gärtner vielleicht schon vor über 100 Jahren aufgegeben, die Hainbuchen zu schneiden. Sie sind ineinander sehr verschachtelt und verwoben und haben dermaßen knorrige Äste, dass man hier sehr gut entweder einen Grusel- oder Märchenfilm drehen könnte. Ich wäre für „Hänsel und Gretel.“ Man meint, die Bäume leben und neigen sich einander zu, um sich näher zu sein. Ich höre ein leises Raunen und Wispern und werde leicht blass. So eine Formation von Bäumen in einer Allee habe ich noch nie gesehen. Ich werde ein oder zwei Fotos von diesem Park und seiner Allee ins Netz stellen.
Die Homepage dieses sehenswerten Hotels ist: www.palacsiemczyno.pl
Dann fahren wir nach „Stare Drawsko“ wo auf einer Anhöhe am Ortsausgang eine Ruine steht. Die Templerburg. Norbert erzählt, dass hier die „Templer“ vom ehemaligen französischen „Templerorden“ ihre Burg hatten, die über 3000 Menschen Schutz und Unterkunft boten. Natürlich nur Angehörigen dieses Ordens. Jeder Reisende, der über den Hauptverbindungsweg von Nord nach Süd oder von Ost nach West wollte, musste einen hohen Wegezoll entrichten. Im Inneren der Ruine hat sich eine rührige polnische Familie mit viel Fantasie und großem Fleiß einen kleinen Betrieb aufgebaut. Man fühlt sich durch die genial nachgebauten mittelalterlichen Hütten und Häuschen mit ihrem Innenleben und den originalgetreuen Fassaden in diese Zeit unmittelbar zurück versetzt. Es gibt da einige Attraktionen, einen Pranger, Piken und Speere, Ritterrüstungen, einen alten Marktplatz, Marketenderinnen, Ritter und Knappen und auch auserlesene Speisen und allerlei Klimbim, den man für kleines Geld erstehen kann. Respekt vor diesen Leuten, die sich mit viel Engagement eine kleine Existenz aufgebaut haben, die die ganze Familie ernähren muss. Der Eintritt kostet lediglich 2 Euro.
Die Saison läuft nur von Ende Juni bis Anfang September. Da sagt man besser nichts mehr und wird wieder ganz zufrieden mit seinem Leben. Die mächtigen Ruinen lassen einen ganz klein werden.
Wir gehen in einem urigen Restaurant direkt neben der alten Templerburg essen. Es gibt als Vorsuppe Rinderkaldaunen. Eine köstliche Suppe. Ich glaube in Süddeutschland sagt man dazu Kuddelsuppe. Zum Hauptgang essen wir Kartoffelpuffer mit Gulasch und Rotebetesalat. Die Polen sind Meister im Verwöhnen von hungrigen Gästen.
Der Abend verläuft in unserem Bauwagen eher ruhig. Es ist schon ein merkwürdiges und leeres Gefühl, wenn der Traktor nicht mehr an der Deichsel hängt. Ich vermisse meinen treuen Kameraden sehr und schreibe etwas wehmütig meine Tagesberichte ins Netz, ziehe Fotos hoch und beantworte und schreibe Emails und surfe im Internet und denke über Gott und die Welt nach bis es mir bewusst wird, dass es schon wieder mal auf drei Uhr nachts zugeht. Heute ist auch noch ein Tag, denke ich und hoffe, einmal mehr als 6 Stunden schlafen zu können. Heute ist Sonntag und es soll über 20 Grad warm werden. Das tagelange Sturmtief von Deutschland herüber ist müde geworden und wird nach Russland abziehen. Soll es. Ich freue mich auf das erste ausgiebige Sonnenbad seit langem am sonnigen Sonntag.