27. Juni
Heute genehmigen wir uns einen „freien“ Tag! Keine Empfänge, keine Pressetermine, keine Besuche, kein „Rummel“ um unseren „Ausflug“ mit dem Gespann durch Europa. Nur Sonne satt und Müßiggang pur. Ein paar Campinggäste stehen immer mal wieder um den Wagen herum und diskutieren eifrig.
Ich sitze unter einer ausgewachsenen Eberesche und beobachte die große Gruppe Halbwüchsiger, die in ihren Ferien mit einem Lebensrettungslehrer das professionelle Unterwasserschwimmen und das Retten von Menschenleben lernen. Die Jugendlichen verhalten sich sehr diszipliniert und müssen mehrmals am Tag auf dem Rasen in einer Reihe Kniebeugen und Liegestütze machen. Die Kommandos des Trainers sind weithin zu hören. Er zählt auf Polnisch rückwärts von 20 bis 1 und so lerne ich auch ein wenig besser das polnische Zahlensystem kennen. Ich turne im Geiste mit und meine morschen Knochen danken es mir in meinem Liegestuhl. In der Gruppe herrscht Ordnung. Eine Ordnung und eine Zielstrebigkeit und Ruhe, wie man sie Jugendlichen in diesem Alter gar nicht zutrauen würde. Sie sind bestimmt einmal gute Soldaten und Soldatinnen, wenn sie einberufen werden. Den Drill haben sie schon gut verinnerlicht. Hier und da komme ich auch mal kurz in Kontakt mit den Kids. Sie grüßen immer freundlich, wenn sie zum Strand oder zum Essen holen gehen. Sie sind halt wohlerzogene junge Bürger eines freien, modernen Staates, in dem es sich gut leben lässt. Und…Ordnung ist das halbe Leben.
Barbara wäscht unsere verschmutzte Kleidung in der „Touri-Maschine“ und der Platzinhaber, Robert Rycerscy schenkt uns unaufgefordert einen farbigen Bildband mit eingelegter CD-Room über den Fluss „Drawa“ auf Deutsch und einen Tourist-Guide. Ich bedanke mich und bei dieser Gelegenheit kann ich auch meine positiven Eindrücke über seinen Campingplatz loswerden. Ich sage ihm:“ Sie bekommen heute feierlichst inoffiziell von zwei deutschen Traktoristen 5 Sterne für die gesamte Anlage!“ Er gibt trocken zur Antwort:“ Und ich gebe Ihnen 8 Sterne, wenn Sie noch ein paar Tage hier bleiben!“ Da schweigt man still und … freut sich.
Heute fehlt uns leider ein fahrbarer Untersatz, um in der 2 km entfernten Stadt einkaufen fahren zu können. Wir packen uns zwei stabile Tragetaschen ein und gute Laufschuhe und spurten am See entlang, dem kürzesten und reizvollsten Weg zum nächsten Laden. Es ist gegen 18 Uhr. Die kleinen Geschäftchen haben individuelle Ladenschlusszeiten. Manche halten bis 22 Uhr ihre Türen geöffnet.
Vor der Stadt gehen wir an einer riesigen Freilichtbühne vorbei. Der Park, in dem verschiedene moderne Sportstätten integriert sind lässt sich gut durchwandern. Schon nach 20 Minuten sind wir an einem winzigen „Tante-Emma-Laden“ am Stadtrand angelangt. Noch vor Monaten musste ich schon nach einem schnell gegangenen Kilometer schnaufen. Heute könnte ich noch 10 Kilometer laufen und atme frei durch. Meine Blutdrucksenker habe ich um mehr als die Hälfte reduzieren können. Er bleibt stabil wie eine alte Eiche und ich fühle mich wie 61 Einhalb (!)
Die alte Dame im Lädchen bemüht sich uns gut zu beraten. Nur wir verstehen nichts und müssen auf die gewünschte Ware hinter dem kleinen Verkaufstresen zeigen. Das klappt gut und ich erfahre, dass Gurken ganz schlicht und einfach „Ogurki“ heißen und Streichhölzer „Sapauki.“ Auf dem Rückweg will sich die Zunge eng mit dem Gaumen verbinden. Es ist schwül. So kehren wir auf ein Gläschen Bier in ein Bistro am Wegrand ein. Unsere schweren Einkaufstaschen dürfen sich nun mal ausruhen. Wir laben uns dann später draußen vor dem Wagen an den polnischen Spezialitäten. Heringsalat, losem Käse, Schinkenwurst und … „Ogurki.“ Dazu die sahnige Butter….Hmh!
Wir denken über die vergangenen fünf Tage nach. Das, was wir bisher hier in Czaplinek an Schönem und Interessantem, aber auch an Aufregendem erlebt haben, sprengt alle unsere Fantasien. Aber es ist die nackte Realität und wir sind voll des Dankes an unsere Gastgeber und das polnische Volk. Diese Gastfreundschaft ist kaum zu überbieten.
Wir hoffen, dass, wenn wir wieder in gewohnten Gefilden leben, wir uns auch einmal so gastfreundlich und europäisch zeigen dürfen wie die Polen.
Von unserem guten Norbert erfahren wir, dass die Werkstattmänner seit zwei Tagen schon über 300 km wegen uns in fünf polnische Städte gefahren sind, um die passenden Teile aufzukaufen. Bei Bestellung würde es sonst mehr als eine Woche noch dauern. Es ist unfassbar, welch ein Service hier in Polen herrscht. Wir wissen noch gar nicht, wie wir uns bedanken können für diesen enormen Zeitaufwand und die vielen Einsätze. Wir müssen uns etwas überlegen, um uns außer der Rechnung erkenntlich zeigen.
Ich google abends im Netz noch ein wenig und finde 3 weitere Zeitungsberichte über unsere Reise von Tageszeitungen, mit denen wir gar keinen direkten Kontakt hatte. Sie haben „Straßenfotos“ von uns gemacht. Nicht ganz scharf, aber wir düsen ja auch manchmal in einem Höllentempo durch die Großstädte… Auch im polnischen Fernsehen in den Mittagsnachrichten, etwa so wie das „Heute-Journal“ wird ein 2-Minutenfilm gesendet. Das ganze Interview kann man sich dann online anschauen. Es wird bald auf unsere Presse- oder auf eine andere Seite hochgeladen und kann dann angeschaut werden. Ganze 23 Minuten! Hier erleben wir nur noch Superlativen.
Morgen früh, am Dienstag um Neun will uns der Bürgermeister mit seiner Sekretärin in unserem Bauwagen aufsuchen, um u.a. ein par gute Fotos zu machen von den Zigeunern, die hier unter alten Vogelbeerbäumen hausen. Das wird wieder spannend, denke ich. Unser Wagen soll mit uns beiden davor auf die Homepage der Stadt Czaplinek gesetzt werden. Das ist eine besonders große Ehre für uns und wir wissen es zu würdigen.
Also husch, husch ins Körbchen. Wir wollen ausgeschlafen sein.