28. Juni
Acht Uhr! Norbert ruft ganz aufgeregt an. „Dieter, du, da ist dir gestern ein kleiner Fehler beim Schreiben und Hochladen der Fotos im Blog unterlaufen!“ Jetzt bin ich noch einmal wach und lausche ins Handy.
„Tja…“ kommt es etwas kläglich von Norbert rüber. „Du hast leider die falschen Namen der Sekretärin und des Bürgermeisters eingesetzt.“ „Diese Namen gibt es gar nicht!“ Nanu? „Und dann hast Du geschrieben, dass die Sekretärin die Ehefrau des Gemeindechefs ist!“ „Kannst Du das bitte ganz schnell wieder ändern?“ „Sonst würde es sich vielleicht noch zu einem Politikum auswachsen und wäre bald d a s Stadtgespräch in Czaplinek!“ Mir wird schlecht und meine Telefonhaltehand bebt. Na, da habe ich was angerichtet. Ein regelrechter Fauxpas ist mir da passiert. Ich trete mir fiktiv spontan in den Hintern, vergesse für einen Moment meinen alten Wolf und bin zerknirscht. „Ich komme sofort mal rüber zu Euch und bringe die richtigen Namen und die richtigen Bezeichnungen mit!“ Oje, nun habe ich doch wirklich als Unbefugter dem Standesbeamten voreilig ins Trauungsbuch gegriffen oder schlichter ausgedrückt…in die Sch…!!! Man könnte auch sagen, das Fettnäpfchen lässt grüßen. Ich drücke den Einschaltknopf am Laptop so hastig, dass ich dreimal starten muss, so aufgeregt bin ich.
In einer halben Stunde kommt Bürgermeister Dudor und Frau Nowatzka zu uns und ich habe die beiden noch nicht wieder geschieden, bzw. die Scheinehe annulliert. Und das in einem katholischen Land! Nun aber hurtig, hurtig. Norbert ist pünktlich da und hilft mir bei der Korrektur. Dann bricht die Netzverbindung ab und ich stehe vor größeren Problemen. Die Sonne brennt vom Himmel, aber mich fröstelt. Jedoch 10 Minuten, bevor die beiden eintreffen, funktioniert alles wieder, wenngleich auch nur mit schwachen Signalen und ich kann alles wieder ungeschehen machen und abspeichern. Ungeschehen? Das war ja meine leise Hoffnung.
Zbiyniew Dudor erscheint pünktlich in heller, leichter Sommerkleidung mit der Chefsekretärin Gosia Nowatzka und …lacht. Er…lacht! Sie…lacht! Norbert… lacht! Ich…habe nichts zu lachen und gebe mich so gut es geht unbefangen.
Norbert übersetzt die Worte des Bürgermeisters. Frau Nowatzka spricht Deutsch mit uns. Sie haben alles schon gestern Abend gelesen, was ich da im Netz auf unserer Homepage angerichtet habe und sind schon am frühen Morgen im Rathaus von einigen Angestellten darauf angesprochen worden. Ich möchte da nicht im Rathaus gewesen sein! Ich versuche zu erklären, aber Norbert winkt ab. „Ist schon gut, Dieter!“ „ Sie haben es mit einem Schmunzeln und mit viel Humor hingenommen und tragen es Dir nicht nach!“ Mir fällt ein Felsbrocken vom Herzen.
Herr Dudor hat schon wieder etwas an uns zu übergeben. Einen ganzen Stapel CD-ROOMS in einer ansprechenden Hülle von der Stadt Czaplinek, nochmals Prospekte und Bildbände und …zum Schluss noch ein ganz persönliches Geschenk an uns: Eine Flasche selbst hergestellten Johannisbeerwein. Das nehmen wir als eine ganz besondere Ehre an.
Während wir draußen miteinander reden und sich die beiden Staatsbediensteten den Bauwagen eingehend betrachten, bietet mir der Bürgermeister das DU an. „Zbiyniew!“ gibt er mir die Hand. „Dieter!“ gebe ich überrascht zurück. Dann machen die beiden Fotos. Wir stellen uns am Eingang auf und lächeln in die Linsen. Ach ja, fast hätte ich’s vergessen. Zwei leuchtend rote T-Shirts mit dem Namenszug der Stadt hat der Gemeindechef auch noch für uns mitgebracht, die wir umgehend anziehen, bevor wir ins Bild kommen. Ich muss während der Fotoszene unwillkürlich an unsere beiden Kinder, Mario und Tamara denken, denen solch eine Situation eher unangenehm wäre. Dabei sind sie doch sehr fotogen. Wir beide aber sind nach wie vor gut gelaunt und freuen uns über die Gaben der Stadt.
Dann geht’s ins Innere von Tante Paula. Das Gästebuch wird auch um ein paar geschriebene Seiten reicher und in unserem „Goldenen Buch der Globetrotter“ findet man nun auch die Grüße eines polnischen Bürgermeisters und seiner Rechten Hand. Wir trinken einen Cappuccino zusammen. Wenn wir Morgen weiterfahren können, sollen wir unbedingt durch die Innenstadt am Rathaus vorbei fahren, dann halten und „kräftig Krach machen.“ So der Gemeindechef.
Das wird nicht ganz einfach sein, denke ich mir. Wir mit unseren 12 Metern Länge. Wenn da gerade wieder Kirchgang ist…! Aber ich bin Optimist. Nur dem Verzagten gehört das Himmelreich. Und dahin…möchte ich noch lange nicht kommen. Nach einer guten Stunde sind wir wieder allein. Das heißt nicht ganz. Den anderen Campinggästen ist natürlich aufgefallen, dass wir hohen Besuch hatten und so beantworte ich routiniert ein paar „Alltagsfragen.“ Barbara verzieht sich in den Wagen und sortiert die Prospekte und die CD-ROOMS.
Wir wollen einige davon unserem Bürgermeister und weiteren Verantwortlichen aus Stadt und Landkreis mit Grüßen des Czaplineker Bürgermeisters übergeben. Den Rest verteilen wir dann gezielt.
Nebenan gibt es eine Kantine, nur 40 Meter von uns entfernt. Barbara hat uns zum Mittagessen dort angemeldet. Sie bringt einen Zettel mit, worauf die Tischnummer und die Uhrzeit steht, wann getafelt werden darf. 14 Uhr lese ich und 38 Sloty. Das sind etwa knapp 10 Euro für uns beide. Schon lange vor der Zeit gehen wir hinüber. Wir sind die einzigen und dürfen Platz nehmen. Viele junge Frauen, sicher Studentinnen wirbeln durch den schönen, alten Esssaal. (Auch ein schönes Wort: ESSSAAL!)
Es wird serviert. Frikadellen im Eimantel mit Schlottenspitzen, Dillkartoffeln und grünem Blattsalat. Davor eine hell gebundene Kohlrabisuppe mit leckerer Salzgurkeneinlage und Karottenschuppen. Lecker!!!
Am Nachmittag stehe ich in der Badehose hüfthoch im klaren Uferbereich des „Drawsko-Sees“ und schlottere mir einen ab. Ganze Rotten von Jungfischen, (oder sagt man besser Schwärme) switchen zwischen meinen haarigen Beinen hindurch. Barbara fotografiert mich und traut sich nur bis zu den Großzehengrundgelenken in die Fluten.
Ich beruhige sie. Der letzte Hai, ein westdeutscher Immobilienhai, der hier gesichtet wurde, ist schon 1990 dingfest gemacht worden. Sie winkt nur müde ab. „Ja,ja, du immer mit deinen Sprüchen!“ Wenn das Woda (Wasser) nur nicht so verdammt nass wäre!
Norbert kommt zwischendurch und bringt mir eine Musterzeltstange mit. Ich brauche fünf Zeltstangen, um endlich einmal die Zetorflagge als Baldachin oder Markise an der Längsseite des Wagens aufspannen zu können. Es ist schwierig, solche Teile hier bei uns zu bekommen, meint Norbert und fährt wieder zurück.
Er muss es wissen, da er schon seit über 15 Jahren in Polen lebt. Er ist ein sogenannter „Zugezogener“ aus Nordhessen und möchte aus Polen nicht mehr weg.
Tante Paula dagegen ist eine sogenannte „Vorgezogene“, weil ich sie mit dem Schlepper vorziehen muss. Und wir beide sind fast alle Tage sogenannte „Umgezogene“, da wir ständig unseren Standort wechseln. Und wenn ich ohne einen Sloty dastehen würde, wäre ich ein sogenannter „Ausgezogener.Wir verziehen uns wegen der zunehmenden Hitze in den Wagen und entziehen uns den sengenden Strahlen.
Da kommt ein älterer Radler mit rotem Shirt und gelber Warnweste auf uns zugeradelt. Es sprudelt nur so aus ihm heraus. Er spricht Polnisch mit ein paar Brocken Deutsch und Französisch und sagt immer wieder „TV.“ Dann verstehen wir. Er hat sich, wie sicher viele andere auch, den 24minütigen Fernsehbericht über uns gestern Abend angeschaut und möchte uns nun persönlich kennen lernen. Er war einmal bei der Stadt beschäftigt. Wir bieten ihm etwas zu Trinken an, das er auch dankbar annimmt. Ein lustiger Mensch mit viel Charme, besonders Barbara gegenüber. Er beherrscht die gute alte Schule noch und gibt sich galant. Sein Name ist Bogdan Stepinski. Er fährt winkend und lachend davon. Wieder einen Menschen glücklich gemacht, ist mein Gedanke und wir gehen nach draußen in den Schatten.
Abends werden wir noch einmal von Norbert zu seiner Familie gefahren und trinken eine schöne, abgelagerte Flasche französischen Rotwein miteinander. Das Witzige daran ist, dass auf dem Flaschenetikett „Paula“ steht. Da schmeckt der Halbtrockene noch mal so gut. Patrycia drücken wir alle Daumen für ihre morgige Abschlussprüfung für Betriebswirtschaft. Die restlichen Zeltstangen hat Norbert auch besorgen können, obwohl er ein „Zugereister“ ist. Er weiß halt, wer wo wann warum und was und wie. „Hallo, mein Freund!“ Es grüßt dich herzlich ein „Abgereister.“ Am sehr späten Abend schauen wir uns nochmals in Ruhe die lange Reportage über uns im polnischen Fernsehen an. Was wird erst in Deutschland sein, wenn wir in den kommenden sieben Tagen unsere Heimat durchfahren? Wir sind gelassen und leben den Tag. „Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben!“
Hoffentlich behalten wir diese Lebenseinstellung.