Polen – 29./30.06.11

29. Juni

Ein richtig fauler Mittwoch! Schon gegen Mittag lese ich 27 Grad auf unserem Außenthermometer ab. Die Lebensrettungstruppe steht wieder kerzengerade und stumm vor ihrem Trainer und wartet auf die „Befehle.“ Dann heißt es: 20 Liegestützen, 10 Kniebeugen und immer schön laut mitzählen. Einigen Jugendlichen sieht man die Anstrengung deutlich an. Sie haben wohl gestern Abend zu lange im Jugendraum Karaoke gesungen und wirken nicht gerade sehr frisch. Das scheint der laut bellende , etwa 30jährige Trainer mit seinen auf Streichholzlänge geschnittenen Haaren bemerkt zu haben und er lässt drei Jungens vortreten. Sie müssen sich vor die Gruppe stellen und die Turnübungen unter lautem Anfeuern der Übrigen solo vorführen. Und dann natürlich noch einmal mit der feixenden Gruppe zusammen. Macht 40 Liegestütze und 20 Kniebeugen. Ich glaube, in ihrem Zustand nach diesen Hochleistungen könnten sie heute keinen Menschen mehr aus irgendwelchen Fluten retten. Der Vormittag vergeht wie im Flug.

Die ganze Landmaschinenreparaturwerkstattgroßfamilie übergibt uns stolz den reanimierten Zetor vor dem Werkstatttor
Die ganze Landmaschinenreparaturwerkstattgroßfamilie übergibt uns stolz den reanimierten Zetor vor dem Werkstatttor
Die Landmaschinen-Profis tragen sich in unser Gästebuch ein
Die Landmaschinen-Profis tragen sich in unser Gästebuch ein

Ich sitze vor dem kleinen Campingtischchen in der Sonne neben dem Bauwagen und schreibe unsere Erlebnisse vom Vortag ins Netz. Dann bequeme ich mich ein paar Schritte im See zu unternehmen. Natürlich nur bis zu den Oberschenkeln. Der Rest bleibt trocken. Zu kalt für einen Oldie wie mich. Ich schwimme leidenschaftlich gerne, nur sollte das Wasser mindest 20 Grad warm sein. Alles andere macht mich nur kleiner. 

Zu Mittag gibt es nur ein mageres Süppchen und eine Schnitte Brot. Es ist viel zu heiß zum satt essen. Heute sollte der Trecker fertig werden. Norbert, unser Wohltäter und guter Freund will uns sofort informieren, wenn ihn die Werkstattleute angerufen haben. Es wird Ein Uhr, Zwei Uhr, Drei Uhr. Ich bin schon seit gestern Abend ganz kribbelig. Wir haben uns vorgenommen, dass wir heute nicht weiterfahren werden, wenn es nach 15 Uhr wird. Ich vermisse unseren Vagabunden und fühle mich nicht vollständig ohne ihn. Seit fünf Tagen steht er nun ohne seinen Herrn in fremder Umgebung und muss sich Leid antun lassen. Und ich…kann nichts beschleunigen. Warten ist nicht gerade meine große Stärke. Dann kurz nach Drei der ersehnte Anruf von Norbert. Der Trecker wäre repariert und abholbereit. 

Zehn Minuten später saust Norbert mit seinem großen, bequemen Volvo an und es geht im „Sauseschritt“ über die holprigen Nebenstraßen auf’s Land. Der Seniorchef mit seinem schon sehr in die Jahre gekommenen, speckig glänzenden Cowboyhut und seinem gebräunten Ledergesicht steht im Hinterhof und fängt meinen skeptischen Blick auf. Dabei war er gar nicht skeptisch. Nur besorgt. Ob wirklich alles wieder in Ordnung gekommen ist? Die beiden Söhne, der Hochleistungssurfer und der Jüngere, der erst 17 Jahre alt ist kommen dazu. Da steht er nun. Sauber und mit neuen Vorderreifen. Dann die Erklärungen. 

Es ist folgendes repariert, bzw. ausgetauscht worden: Die Vorderreifen, Motorölwechsel, Filterreinigung, Reinigung des Motorgehäuses, Austausch der Bremsflüssigkeit, ein Loch in der Motorkühlanlage ist gelötet worden, die Handbremse wurde nachgestellt, Öl nachgefüllt für die Servolenkung, Getriebe und Hydraulik, Austausch des gerissenen Auspuffkrümmers , Austausch der Lenkbuchsen, die völlig ausgeschlackert waren, Abschmieren aller Schmiernippel, Reparatur der Hupe und des Zigarettenanzünders und zum Schluss noch eine Hiobsbotschaft. Erstens waren nur noch die Ventile von nur einem Zylinder noch ausreichend eingestellt. Die anderen Ventile unseres Dreizylinders hatten viel zu viel Spiel und wurden nie eingestellt.

Und dann die Überraschung: Die Zylinderkopfdichtung war gerissen, bzw. undicht und das Kühlerwasser hatte freien Lauf. Nur nicht dahin, wo es hingehört. Der Senior zeigt mir die alte Zylinderkopfdichtung und erklärt, sie wäre wohl schon beim Vorbesitzer unfachmännisch falsch eingebaut gewesen. Mit der falschen Seite nach oben, bzw. nach unten. Er wundert sich auch, dass es der Motor so lange mit der verkehrten Kopfdichtung ausgehalten hat. Ich auch. Wir sind seit dem Kauf vor über vier Jahren schon etwa 9000 km damit gefahren. Und das sehr oft gerade in den letzten Wochen oft mit Volllast, wenn der Zetor über die norwegischen Berge getrieben wurde. Was bin ich froh, dass diese polnischen Vollprofis den Zustand des Motors erkannt haben. Heilfroh! Und…wieder einmal sehr dankbar, dass sich das Blatt zum Guten gewendet hat und unsere Reise fortgesetzt werden kann. Ohne das Auswechseln dieser für den Motor so wichtigen Dichtung wären wir über Kurz oder Lang an der nächsten Ecke mit einem kapitalen Motorschaden liegengeblieben.

Die imposante, schöne katholische Kirche in Czaplinek am Marktplatz
Die imposante, schöne katholische Kirche in Czaplinek am Marktplatz
In einem Czaplineker "Tante-Emma-Laden"
In einem Czaplineker "Tante-Emma-Laden"

Die „Jungs“ sind stolz auf ihr Werk. Können sie auch.  Sie haben im besten Sinn des Wortes gute Arbeit geleistet. Wir stehen diskutierend um unser Schätzchen herum. Der Lack des Zetors glänzt im gleißenden Sonnenlicht. Man kann sich auf der Haube spiegeln. Norbert betätigt sich wieder einmal als Übersetzer. Das macht er ausgezeichnet. Er spricht Polnisch genau so schnell und flüssig wie Deutsch. Manchmal hört es sich für mich so an, als spräche er Polnisch rückwärts. Er ist halt ein „Allrounder! Endlich kann ich unsere Staatskarosse wieder besteigen. Freund Zetor begrüßt mich mit einem den Umstehenden verblufft echten Gewieher. Das ist meine geliebte „Extranummer“, die ich besonders gerne bei Kindern aus dem „Animal-Voice-Schaltkasten“ zaubere. 

Wir wollen zahlen. Wir rechnen mit mindestens 700 Euro und haben gestern die entsprechende Summe aus einem Bankautomaten gezogen. Norbert gibt zu verstehen, dass das seine Firma, die Firma „RIMASTER“ als Sponsoring verstehe. Nun wiehert nichts mehr. Wir schauen uns stumm und bewegt an. Sind sprachlos. Ganz merkwürdig gerührt. Da hat doch unser guter Norbert schon wieder was für uns getan, woran wir im Traum nicht daran gedacht haben. Er ist somit unser 1. Sponsor und soll auf der Sponsorenseite besonders gewürdigt werden.

Vielleicht findet sich ja noch ein Zweiter oder Dritter. Damit wären unsere hohen Bergungs- und Reparaturkosten in den letzten drei Monaten wieder reingeholt und der Fortgang unserer Europatour wäre finanziell besser abgesichert. Wir bedanken uns bei den Dreien, die sich eine so große Mühe mit der Beschaffung von Ersatzteilen und dem korrekten Einbau und den Reparaturen gemacht haben sehr herzlich und lassen ein gutes „Trinkgeld“ da. Norbert wird in Gedanken von Barbara umarmt und ich…weiß immer noch nicht, wie ich mich verhalten soll. Mir fehlen die Worte. Dann machen wir die erste Probefahrt ins Städtchen und kaufen für die morgige Weiterfahrt ein. 

Da wir nur ein Süppchen heute Mittag gegessen haben, verführt uns der angenehme Geruch von Gebratenem in der Innenstadt zum „Sit-in“ in dem gleichen Restaurant, wo uns der Bürgermeister am Sonntag zuvor zum Eis eingeladen hat. Rinderleber mit Zwiebelringen, Pommes und Salat. Allein mit der Garnierung hat sich der Küchenchef alle Mühe gegeben. Ja, in Czaplinek kann man gut essen gehen. Es ist alles wie zu Hause. Nichts fehlt uns und es wird sogar Deutsch gesprochen, wenn auch eingeschränkt. Der Kellner kennt uns vom Fernsehfilm her, wie er uns erzählt und freut sich, dass wir seine Gäste sind. 

Dann besorgen wir noch eine schöne, große Topfpflanze gleich nebenan für den Campingplatzbesitzer, der uns so wohlwollend und freundlich vor sieben Tagen aufgenommen hat, tanken noch am Rande der Stadt und kehren endlich „heim“ mit unserem Traktor-Freund. Alle Welt hier wartet schon auf den roten Schlepper, den sie schon auf der Visitenkarte oder im Netz gesehen haben und die Nachbarn machen unzählige Fotos. Auch einige Jugendliche von der Gruppe nebenan zücken ihre Handys.

Wenig später erscheint „Kuba“, der junge Chef des aufstrebenden Reparaturbetriebes mit seinem Bruder und sie schmieren noch den Bauwagen mit einer Fettpresse ab. Nun hat auch er sein „Fett weg.“ Das Gästebuch hat nun auch einen Eintrag mehr. Sogar von einem weltbekannten Hochleistungssportler. Und der…ist in der Kleinstadt Czaplinek zu Hause und vertritt seine Heimat sehr sympathisch. 

Links im Hintergrund das Czaplineker Rathaus
Links im Hintergrund das Czaplineker Rathaus
Punkt Sieben steht der Bürgermeister auf der Straße, um uns zu verabschieden
Punkt Sieben steht der Bürgermeister auf der Straße, um uns zu verabschieden

Wir müssen packen. Schon lange kribbelt in mir wieder das Reisefieber und wenn ich mal zwei Tage nicht am Steuer unseres kleinen, roten Freundes gesessen habe, werde ich unruhig und fast unleidlich. Morgen wollen wir schon um sieben Uhr losfahren. Das heißt, um fünf ist die Nacht herum. Wir sollen ja auch vor dem Rathaus „aufmarschieren“ und der Bürgermeister will uns noch einmal Lebewohl sagen. Das wird eine kurze Nacht.

30. Juni

Es ist zehn vor Fünf in der Früh. Gut, dass ich aufgewacht bin. Heute will ich mal der Erste sein, der vom Duschen zurück kommt. Barbara wälzt sich unruhig im Bett. „Wie spät ist es denn?“ gähnt sie mich aus dem Halbdunkel an. „Gleich Sieben!“ gähne ich zurück. „Was Sieben schon?“ kommt es jetzt nicht mehr gähnend aus ihrem Mund. „Wir wollten doch schon um Sieben vor dem Rathaus stehen!“ schreit sie. „Ach, Bascha (Barbara) !“ beruhige ich sie. „Schau mal auf die Uhr. Es ist erst kurz vor Fünf. Ich wollte doch nur, dass du jetzt auch aufstehst!“ Sie wirft mir eine abwertende Handbewegung zu und schwingt sich aus dem Alkoven. „Hast mich schon wieder mal drangekriegt, du böser Mann du!“ Manchmal schaffe ich es halt doch noch, sie dranzukriegen, auch nach 37 Jahren. 

Um Halbsieben rufen wir Norbert an. Er will dabei sein, wenn wir abreisen. Den Bürgermeister hat er auch schon aus den Federn „gehandyt.“ Der aber lässt uns ausrichten, dass er verschlafen habe und wir möchten doch bitte an seinem Haus vorbeifahren, um Abschied voneinander zu nehmen. Wir fahren doch sowieso an seinem Wohnhaus vorbei. Es ist genau sieben Uhr. Wir vernehmen das schöne Glockenspiel von der Czaplineker katholischen Kirche und fahren unter Winken des Platzchefs und seiner Crew ab. Da am Rande der Stadt plötzlich zwei gellende Pfiffe. Norbert steht weiter vorne am Straßenrand. Er kann nicht gepfiffen haben. Das hätten wir gesehen. Ich halte an und schaue in den linken verlängerten Rückspiegel. Da steht doch tatsächlich Bürgermeister Dudor auf der linken Seite des Gehsteiges vor einem Einfamilienhaus in Nachtshorts und einem T-Shirt unrasiert und schlaftrunken, aber mit blitzenden Augen und kommt winkend auf uns zu. Wir springen schnell von unserem Dieselross und gehen auf Norbert und den Bürgermeister zu. Eine herzliche Verabschiedung folgt. Letzte Worte, letzte verstohlene Abschiedstränchen und dann aber nix wie rauf auf die Piste gen Westen. 

Nach einigen Kilometern bemerke ich, dass die Kühltemperaturanzeige nicht höher anzeigt als 70 Grad. Ich überlege lange und komme dann zu dem Schluss, dass durch den Einbau der neuen Kopfdichtung nun der Motor längst nicht mehr so heiß wird wie zuvor. Da zeigte das Thermometer schon nach drei Kilometern 80 oder 85 Grad an. Ich habe es schon mehrere Jahre als gegeben hingenommen und mir nichts Böses dabei gedacht. In Gedanken bedanke ich mich noch einmal bei den gewissenhaften Schraubern, die den kleinen Zetor so gründlich überholt haben. Wir durchfahren ungezählte, wunderschöne Alleen. 

Wie wir hörten, sollen viele der alten, stolzen Straßeneinrahmungen im Sinne der Euronorm abgeholzt werden, da meisten der alten Alleenstraßen um 15 bis 25 Zentimeter zu schmal sind. Man mag sich sein eigenes Urteil darüber bilden. Da gibt es halt europäische Vorschriften, deren Sinn uns im Verborgenen bleibt.

Eine ganz besondere Hebebühne einer Autoreparaturwerkstatt
Eine ganz besondere Hebebühne einer Autoreparaturwerkstatt
Das Fernsehteam vom polnischen Fernsehen lässt auch keinen Winkel aus
Das Fernsehteam vom polnischen Fernsehen lässt auch keinen Winkel aus

Noch etwas Kurioses fällt mir da ein, was ich in Polen aus berufenem Munde erfahren habe. In Polen sind Alkoholika recht günstig zu bekommen. Zucker jedoch ist um das Doppelte so teuer wie bei uns. So fahren alle Tage Heerscharen von polnischen Familien, die grenznah wohnen nach Deutschland rüber, zum Beispiel nach Frankfurt/Oder, um einige Zentner Zucker in Säcken einzukaufen. Im eigenen Land wird er dann etwas billiger als üblich wieder verkauft und so besseren sich die Familien die Haushaltskasse auf. Das nennt man clever. Es wird aber daher sicher nicht bei uns zu einem Zuckermangel kommen. Da bin ich ganz unbesorgt. So viel Süßes können unsere Grenznachbarn gar nicht rüberschaffen, damit mein Frühstückstee bitter bleibt. 

Die Straßen, auch die keinen Nebenwege sind im Westen Polens ab ca. 100 km von der deutschen Grenze entfernt ausgesprochen gut. Neue Teerdecken, Mittelmarkierungen und Leitplanken sind Standart. Wir rauschen wie auf Butter davon. So macht es Spaß, unterwegs zu sein. Barbara kann sogar die ihr von mir zugerufenen Stichworte, die ich abends für den Tagesbericht verwenden will, zitterfrei notieren. 

Dann wieder unerwartet eine lange Baustelle in einem Dorf. Die Kanaldeckel stehen mindestens 15 cm über der alten, abgefrästen Decke und es gibt tiefe, breite Löcher im Boden, worin eine Honigmelone versteckt gut reifen könnte. Es ist das schier unglaublichste Teilstück Straße, das wir jemals befahren haben. In der Mitte zwischen beiden „Fahrbahnen“ ein gepflasterter Mittelstreifen, noch nicht abgestreut und etwa 2 Meter breit. Ich glaube, ich sehe nicht recht. Da fahren doch alle anderen Verkehrsteilnehmer auf dem frisch gesetzten Pflaster. Manche der roten Betonverbundsteine sind schon wieder zur Fahrbahn zu heraus gebrochen und tragen zur „Erhöhung“ der Sicherheit auf beiden Fahrbahnen bei. Nun schalte ich in den zweiten Gang. Ich wusste gar nicht, dass ich ihn habe. So kommt man bei Halbgas in der Stunde 7 km weit. Und das ist noch viel zu schnell. Kein normaler PKW kommt hier durch. Vielleicht ein Jeep oder ein hochbeiniges russisches Geländeauto. Die polnischen  Straßenarbeiter legen Schaufel und Kreuzhacke zur Seite und genießen das Schauspiel einer Durchfahrt von todesmutigen Globetrottern. Über 12 Minuten benötigen wir für die 1000 Meter. Danach halten wir an der nächsten Ecke und schauen nach, ob am Hänger noch alle Räder dran sind. Sind sie. Aber wir beide haben Schaden genommen.

Der Hunger meldet sich. Aller Mageninhalt hat sich durch das Gerüttele bis in die letzten Darmzotten abgesenkt. Hinter „Pyrzyce“ , bei „Recz“, vor einem ehemaligen halbverfallenen Bahnhofsgelände wollen wir die mitgenommen Stullen mit der leckeren polnischen Kielbassa (Wurst) in Ruhe verzehren. Da taucht ein Wagen auf. Ein junger Mann hat eine wuchtige Kamera in der Hand und filmt. Was wohl? Unser Gespann! Dann werden wir von einer jungen Frau mit einer übergroßen Sonnenbrille auf Englisch angesprochen. Sie erklärt. „Wir sind vom polnischen Fernsehsender „tvn“ mit Sitz in Warschau. Ich selber lebe in Breslau. Wir beide begleiten dokumentarisch eine wichtige Jeep-Rallye, die durch ganz Pommern führt. Wir haben Sie vorhin überholt und haben gehofft, dass Sie irgendwo zufällig anhalten. Wir können uns sehr gut vorstellen, einen Sonderbeitrag über Ihre Reise zu bringen. Vielleicht in Verbindung mit dieser Rallye. Würden Sie uns bitte ein Interview geben und dürfen wir Sie und Ihr Gespann filmen?“

Unser Magen hängt auf Halbacht, obwohl es stark auf Halbzwölf zugeht und Barbara verzieht leicht das Gesicht. Ich aber willige gerne ein in die kommenden „Filmminuten“ und freue mich, dass uns zufällig der größte polnische Fernsehsender aufgegabelt hat. Wieder mal eine schöne Abwechslung und eine weitere Bereicherung unserer Reise. Die sehr agile Fernsehfrau, „Dagmara Kowalczyk“ heißt sie, platziert mich vor der geöffneten Beifahrertür des Treckers. Ihr Partner filmt und sie hält mir das dicke, schwarze Mikro vor die Nase. Etwa drei Minuten lang stellt sie mir Fragen und ich beantworte sie, so gut ich es auf Englisch kann. Sie scheint zufrieden und lässt sich den Filmclip zeigen. 

Dann das Erschrecken. Der Kameramann hat irgendetwas falsch eingestellt und das ganze Interview muss wiederholt werden. Der Film ist ohne Belichtung gelaufen. Sie entschuldigt sich tausendmal für die Panne und schon wieder surrt leise die Handkamera. Der Gaumen wird trocken.  Dann möchten wir doch bitte einmal kurz um den holprigen Bahnhofsvorplatz fahren. Wir sollen winken und die Tierstimmen im Außenlautsprecher ertönen lassen. Barbara fällt auf, dass sich die Tür des Gasflaschenschrankes während der Fahrt geöffnet hat. Das ist noch nie passiert. Der Vierkantschlüssel zum Verschließen hängt aber im Bauwagen am Haken. So lasse ich die Treppe herunter und schließe die Tür auf. Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Journalistin. Behände steigt sie die zwei Stufen hoch und filmt ins Halbdunkel des Wagens. Die Klappläden sind ja geschlossen und man sieht nur schemenhaft das Interieur. Sie hält trotzdem die Kamera ausdauernd in alle Ecken. Ihr Kompagnon dagegen filmt in der Zeit das Armaturenbrett des Treckers, die vielen bunten Aufkleber auf der Haube und nimmt ganz kleine Details aufs Korn, wie z.B. das vordere neue Reifenprofil und den Messing-Pferdekopf vor der Haube.

Na das wird ein Filmchen geben. Sie will uns den Link zumailen in der kommenden Woche. Mal sehen. Dann düse ich einmal kurz die 200 Meter um den Bahnhofsplatz und die Kamera schaltet ab. Ich bekomme eine Visitenkarte vom Sender und wir kommen endlich zu unserem wohlverdienten zweiten Frühstück.

Immer wieder fragen wir (vergebens) nach einem Campingplatz
Immer wieder fragen wir (vergebens) nach einem Campingplatz
Wir sind (noch) nicht über den Jordan gegangen, sondern haben ihn nur überfahren
Wir sind (noch) nicht über den Jordan gegangen, sondern haben ihn nur überfahren

Wir haben in allen uns zur Verfügung stehenden Campingführern auf der ganzen Strecke bis zur deutschen Grenze keinen einzigen Campingplatz finden können. Aus Erfahrung wissen wir aber, dass es immer wieder mal einen kleinen privat geführten Stellplatz gibt, der in keinem Führer verzeichnet ist. Nach 120 Kilometern fangen wir an mit der Suche. Wir fragen in jedem Dorf die Passanten oder auch die Verkäuferinnen in den kleinen Läden nach dem nächstgelegenen Platz. Ein jüngerer Eingeborener gibt uns im vierten Dorf Hoffnung. „Kurz hinter dem fünften Dorf, nur 4 km von hier links von der Hauptstraße abbiegen und 50 Meter weiter. Da gibt es einen Campingplatz.“ Wir fahren zu der bezeichneten Stelle. Hier war mal früher ein kleiner Laden, Die Fenster sind mit Brettern zugenagelt.  Die Welt dahinter auch. War wohl nichts. Ich habe starkes Bauchgrimmen und verschwinde in die Büsche. Wir erkündigen uns auf der Straße im sechsten und elften Ort. Keiner weiß etwas. Nun sind es schon 150 Kilometer, die wir in der Hitze gefahren sind.

Es geht auf zumeist neuen Nebenstrecken über „Suchan“ und „Kragnik“ in Richtung „Schwedt.“ Wir haben Pech und sind am Schluss von der 10 1/2 Stunden-Fahrt sehr, sehr erschöpft. Bei der letzten Tankstelle vor der deutschen Grenze, ca. 5 km vor „Schwedt“ tanken wir noch einmal das billigere polnische Diesel. Barbara fragt den Tankwart, ob wir über Nacht bleiben können. Es gibt aber hier keinen Trucker-Übernachtungs-Parkplatz. Der Tankwart, der mit einem Kollegen 7 Zapfsäulen auf einmal bedienen muss (und der Tankverkehr aus deutschen Landen ist enorm) geht ins Büro und erkundigt sich bei seinem Chef, ob es da eine Möglichkeit gäbe. Er weist uns einen geschotterten, mit hohen Wildgräsern bestandenen Nebenplatz zu, wo man mit einem normalen PKW besser nicht hinfahren sollte. Wir aber nehmen dankbar an und platzieren uns. Gut sichtbar von allen Durchreisenden von West nach Ost und umgekehrt. Einige der Wagen bleiben auf offener Straße stehen und fotografieren uns. Manchmal kommt es zu brenzlichen Situationen. Nachdem wir uns in der Imbissstube hinter der Tankstelle gut gestärkt haben, sehe ich den Öl-und Wasserstand am Zetor nach. Nun hat er einen Stundenstand von 7470 Arbeitsstunden erreicht. Der Motor ist bisher knapp 300 Stunden seit unserer Abfahrt am 3. April gelaufen. Klaglos. Fast. Um 23 Uhr gehe ich wie gewohnt als Letzter zu Bett. 

Der polnische Großbauer bringt im Mannschaftswagen seine Landarbeiter raus aufs Feld
Der polnische Großbauer bringt im Mannschaftswagen seine Landarbeiter raus aufs Feld
Vor unserem Stellplatz an der polnischen Tankstelle
Vor unserem Stellplatz an der polnischen Tankstelle

Ohne Strom von außen konnte ich heute nur verkürzt schreiben. Meine „Maushand“ wirft lange Schatten auf die Tastatur und verhindert weitere Stilblüten. Ich kann aus dem kleinen Schlafzimmerfenster einen Teil der Straße erkennen. Da blitzt es dreimal kurz. Ich setze mich im Bett auf und denke, wieso kommt jetzt ein Gewitter bei sternenklarem Himmel? Ich schiebe mir die Sehhilfe auf die Nase.

Da stehen doch tatsächlich drei polnische Arbeiter und fotografieren auf Teufel komm raus. Ihren alten „Polonez“ haben sie direkt neben uns geparkt. Den Motor lassen sie laufen. Ich ziehe schnell wieder den Kopf ein und verhalte mich ruhig. Muss ja nicht sein, dass jetzt noch in der Nacht ein Gespräch aufkommt. Außerdem habe ich starke Bauchschmerzen und bin durchgeschwitzt. Morgen geht es zurück nach Deutschland.  

In die Heimat! In die Heimat?

Wir sind überall dort zu Hause, wo wir auf nette Menschen treffen und wo es uns gut geht. Wir haben als „Ausländer“ nur Gutes in den durchtuckerten acht Ländern erlebt und blicken etwas wehmütig auf die letzten drei Monate zurück. Wir werden ganz bestimmt das eine oder andere Land wieder aufsuchen. 

„DER HIMMEL IST ÜBERALL !“ So Gott will.

Ab Morgen will ich aus Deutschland berichten. Ob sie uns wieder über die Grenze lassen?

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